Süddeutsche Zeitung

Verletzung von Gnabry und Coman:Bayern geht flügellahm in die Belastungsprobe

Lesezeit: 4 min

Von Benedikt Warmbrunn, München

Thomas Müller ist in medizinischen Fachfragen ein Gesprächspartner, dem nur bedingt zu trauen ist. Über sich selbst hat Müller einmal gesagt, dass er nie verletzt sei, weil er gar keine Muskeln habe, und noch hat sich kein Mediziner finden lassen, der diese Theorie bestätigen wollte. In der Krankenakte von Müllers mehr als zehn Jahre andauernden Karriere als Profifußballer finden sich allerdings tatsächlich nur wenige Einträge, eine Magen-Darm-Grippe ist da vermerkt, eine Daumenverletzung, eine Knöchelverletzung, ein Pferdekuss. Im Herbst 2017 ist der muskellose Müller seiner Akte zufolge wegen eines Muskelfaserrisses länger als einen Monat ausgefallen, aber dabei handelt es sich bestimmt um eine Verwechslung.

Am Mittwochabend musste jedoch auch Müller über medizinische Angelegenheiten reden, es war bereits ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage ist. Zurückhaltend sagte Müller: "Ich weiß noch nicht genau, vielleicht schaffen's beide."

Am Samstag steht für den FC Bayern das erste Pflichtspiel der Saison an, der Supercup bei Borussia Dortmund, es geht dabei um einen Titel, über den Müller sagt, dass dieser "mir persönlich sehr wichtig" sei. Für den FC Bayern geht es jedoch um mehr als den ersten Titel der Spielzeit. Der Samstag ist eine erste Belastungsprobe für die Kaderplanung des Klubs.

Bei einem Ausfall gerät die gesamte Statik der Mannschaft ins Wanken

Die Spieler, zu deren Gesundheit Müller am Mittwoch eine Ferndiagnose abgeben sollte, sind Kingsley Coman und Serge Gnabry, der linke Flügelspieler und der rechte Flügelspieler im Spielsystem der Bayern, und weil sie auf diesen Positionen spielen, sind sie enorm wichtig für die Erfolgschancen des Klubs: Wenn einer der beiden oder gar beide ausfallen, gerät die gesamte Statik der Mannschaft ins Wanken. Gerade auf den Außenbahnen fehlt dem FC Bayern einigermaßen gleichwertiger Ersatz, zu sehen sein könnte das eventuell schon am Samstag in Dortmund.

Beim Vorbereitungsturnier unter der Woche in der eigenen Arena hatte sich am Dienstag Gnabry nach 20 Minuten auswechseln lassen, Trainer Niko Kovac sprach von einer "Vorsichtsmaßnahme". Am Mittwoch fehlte Gnabry offiziell wegen "leichter muskulärer Probleme". Als Müller sich in Medizinfragen warm gesprochen hatte, sagte er: "Bei Serge ist es ja, glaube ich, keine schwerwiegende Verletzung, sondern eher eine Irritation." Am Mittwoch krümmte sich Coman vor Schmerzen auf dem Rasen, nachdem ihm Tottenhams Juan Foyth aufs linke Knie getreten war. Er zog sich dabei eine Prellung zu, auch die Wade zwickte. "Wir hoffen, dass es nicht so schlimm ist und dass er in den nächsten Tagen wieder dabei ist", sagte Kovac, "er hat einen Schlag abbekommen, so etwas ist immer schmerzhaft." Am Donnerstag wurde Coman genauer untersucht; am späten Mittwochabend hatte sich Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nicht festlegen wollen, wie lange der Franzose fehlen könnte.

Beide, Gnabry und Coman, sind also nicht schwer verletzt. Dass sie angeschlagen ausgewechselt werden mussten, reicht aber schon, um zu verdeutlichen, wie dünn der Klub auf den Flügeln besetzt ist. Müller sagte zwar: "Ansonsten werden wir Lösungen finden." Doch diese Lösungen müssen erst gar nicht gesucht werden. Es sind die letzten Lösungen, die der Kader zurzeit hergibt, wenige Wochen nach dem Ende des Jahrzehnts mit der Flügelzange Franck Ribéry/Arjen Robben.

Die eine Lösung ist Müller selbst, der am Dienstag beim 6:1 gegen Fenerbahce Istanbul für Gnabry kam und noch drei Tore erzielte. Müller sagt über sich selbst aber, dass er sich in der Mitte wohler fühle, auch als Außenspieler zieht es ihn oft dorthin - was kompliziert ist in der Spielanlage, die Kovac vorgibt: Dort sollen Außenbahnspieler an der Seitenauslinie stehen. Die zweite und schon letzte Lösung ist Alphonso Davies, der sich nach einem Dreivierteljahr in München immer wohler fühlt, der am Mittwoch gegen Tottenham traf - der aber noch nicht nachgewiesen hat, dass er als Stammkraft mehrere Wochen lang die Auftritte der Münchner prägen kann.

Die Lösungen, die gefunden werden müssen, das ist die Erkenntnis dieses Vorbereitungsturniers, sind Lösungen, die bei anderen Klubs gesucht werden müssen.

Während der Partie gegen Tottenham, die 5:6 im Elfmeterschießen verloren ging, machte die Meldung die Runde, dass sich der FC Bayern mit Leon Bailey von Bayer Leverkusen einig sei. Es wäre eine Personalie, die als Ersatz für die verletzungsanfälligen Coman und Gnabry schlüssig wäre. Es ist allerdings auch eine Personalie, die die Verantwortlichen entschieden dementieren. "Eigentlich bin ich für Transfers nicht zuständig, aber das ist nicht wahr", sagte Kovac. Sportdirektor Hasan Salihamidzic wollte am Mittwoch nicht reden, er zischte beim Verlassen der Arena lediglich: "Was ihr alle schreibt ..." Und so konzentriert sich das Interesse auf Leroy Sané.

120 Millionen Euro für Sané?

Die Bild hatte jüngst berichtet, dass der FC Bayern dem deutschen Nationalspieler und Manchester City ein Angebot vorgelegt habe. Ungeklärt ist, ob City die Höhe des Angebots reicht; dem Vernehmen nach fordert der Klub 120 Millionen Euro. Ungeklärt ist auch, ob Sané nach München kommen will. "Wenn Leroy wollen würde, wäre er wahrscheinlich längst hier", hatte Joshua Kimmich erst am Dienstag gesagt. Laut Kicker sollen die Bosse von City bereits vor zwei Wochen ein Schreiben an die Säbener Straße geschickt haben, in dem sie darum baten, über Sané nicht mehr öffentlich zu diskutieren. Dieser Brief könnte erklären, warum Klubboss Karl-Heinz Rummenigge am Dienstag seinen Trainer gerüffelt hatte, nachdem Kovac sich "sehr zuversichtlich" zu einem Sané-Transfer geäußert hatte.

Auch am Donnerstag erhielt die Zuversicht noch keine neue Nahrung: Der FC Bayern dementierte Meldungen, wonach sich die Klubs bereits auf ein Transferpaket verständigt hätten. Zu Sané befragt wurde im Stadion immerhin noch Thomas Müller. Der sagte: "Ich muss seit zwei Wochen hier Fragen zu Themen beantworten, die weder meinem Aufgabenbereich entsprechen noch eine neue Aktualität haben. Wir drehen uns im Kreis." Es ist ein Kreisverkehr, in dem eine Ausfahrt in Sicht zu sein scheint.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2019
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