Süddeutsche Zeitung

Rückrundenstart:Sechs Herkules-Aufgaben für den FC Bayern

Lesezeit: 4 min

Von Christof Kneer

Von Niko Kovac weiß man - nein: ahnt man - dass er an griechischer Mythologie interessiert ist. Vor ein paar Wochen hat er auf eine sehr klare Reporterfrage - ob das möglicherweise seine letzte Woche als Bayern-Trainer sei - eine sehr unklare Antwort gegeben. Man müsse "als Familie zusammenhalten", sagte Kovac vor dem Champions-League-Spiel gegen AEK Athen, und dann sagte er, es gebe "genügend Beispiele aus der Geschichte, ob das Troja oder Caesar war".

Bis heute darf man rätseln, ob Kovac damit auf den Untergang eines Reiches (FC Bayern?) anspielte oder auf die Tücken des Verrats (ein Maulwurf in den eigenen Reihen, der die Aufstellungen vor der Zeit an die Boulevardpresse hinausreicht?) - immerhin lehrt einen dieser kleine historische Rückblick, dass dieser Bayern-Trainer vor nicht allzu langer Zeit noch in akuter Gefahr war, nicht mehr lange Bayern-Trainer zu sein. Inzwischen hört er so böse Reporterfragen nicht mehr, und er darf jetzt endlich auch banalere Antworten geben, zum Beispiel jene, dass eine Saison "nie schon nach dem 18. Spieltag entschieden" sei.

Das hat Kovac in dieser Woche gesagt, vor dem 18. Spieltag, der die Bayern zum Rückrunden-Auftakt zur TSG Hoffenheim führt. Wer die Sätze der vergangenen Tage auswertet, könnte auf die Idee kommen, für den FC Bayern ginge es in der anstehenden Halbserie ausschließlich darum, den Sechs-Punkte-Rückstand auf Borussia Dortmund erst zu verkürzen und dann, notfalls am 34. Spieltag, in einen Punkte-Vorsprung umzuwandeln. "Jäger" zu sein, gefalle "den Jungs", hat der Sportdirektor Hasan Salihamidzic zum Beispiel gerade beschlossen. Und Niklas Süle, der Abwehrspieler, erklärte etwas verschraubt, es gebe "keinen hier, der nicht davon überzeugt ist, dass wir Meister werden".

Nach sanften Hinweisen von oben hat Kovac seine Kaderpolitik korrigiert

Niko Kovac, der Geschichtsfeste, dürfte allerdings ahnen, dass die Rückrunde mehr Herausforderungen für seinen Verein bereithält als nur diese eine. Kovac weiß vermutlich, dass Herkules - das ist so eine Art antiker Führungsspieler - gleich zwölf unlösbare Aufgaben lösen musste, und es könnte Kovac beruhigen, dass der FC Bayern nach jetzigem Stand nur die Hälfte der Aufgaben vor sich hat; und sie müssen dabei nicht mal einen nemeischen Löwen, eine kerynitische Hirschkuh oder einen erymanthischen Eber bezwingen (und den Saustall des Augias, den muss sowieso die Fifa ausmisten). Dennoch wird diese Rückrunde eine titanische Bewährungsprobe für den FC Bayern, es stellen sich mindestens sechs Aufgaben, die - zumeist noch parallel - zu bewältigen sind.

Zu dieser ersten Aufgabe (= BVB jagen) kommt eine zweite, die für den Erfolg in der Rückrunde maßgeblich sein dürfte: Gelingt es den Bayern, die Vereinslegenden Franck Ribéry und Arjen Robben mit Ruhe und Anstand aus ihrem letzten Bayern-Halbjahr hinauszubegleiten und dabei gleichzeitig die Wettbewerbssituation im Kader nicht zu vernachlässigen? Im ersten Teil der Vorrunde hat sich Kovac mit seiner Art der Aufstellungs-Rotation in der Kabine angreifbar gemacht, manche Spieler haben das Prinzip nicht verstanden oder verstehen wollen. Sie wussten nie: Ist das jetzt noch Schonung, weshalb ich auf der Bank sitze? Oder ist das schon Misstrauen?

Nach sanften Hinweisen von oben hat Kovac seine Kaderpolitik korrigiert und einer Art Stammelf vertraut, worauf prompt der Erfolg zurückkehrte. Nur: Wie beeinflusst es die Binnenhygiene, wenn Ribéry oder Robben nicht zu dieser Elf gehören und sich stur stellen wie eine kerynitische Hirschkuh? Was löst es in den durchaus reizbaren Weltmeisterverteidigern Mats Hummels und Jérôme Boateng aus, wenn sie nicht spielen? Dieser immer noch junge Trainer wird nicht nur gut, sondern mindestens sehr gut moderieren müssen.

Das gilt auch für den dritten Job, den die Bayern in der Rückrunde erledigen müssen. Unter Berücksichtigung aller Ribéry/ Robben/Hummels/Boateng-Interessen wird Kovac im laufenden Spielbetrieb schon den Umbruch vorbereiten müssen, er muss Profis wie Niklas Süle, Serge Gnabry und Leon Goretzka das Gefühl vermitteln, dass sie Teil der Zukunft dieses Vereins sind, dazu muss er sie erproben und aufstellen. Und auch der anspruchsvolle Joshua Kimmich - potenzieller Anführer der next generation - wird genau beobachten, ob er weiterhin nur hinten rechts Verwendung findet oder ob er regelmäßiger ins zentrale Mittelfeld umziehen darf, auf eine Position, die er für standesgemäßer hält.

So wird diese Rückrunde viertens auch zu einer ganz besonderen Bewährungsprobe für den Trainer Kovac, der zurzeit wenigstens keine Endzeitfragen mehr gestellt bekommt, sich aber eines umfassenden Vertrauens dennoch nicht sicher sein darf. Er wird klare Hinweise liefern müssen, dass er wirklich der Coach ist, dem die Bosse die Zukunft anvertrauen - das gilt auch für den Sportdirektor Salihamidzic, der mitunter etwas ungeschmeidig rüberkommt, aber unter Mithilfe des Chefscouts Marco Neppe immerhin dabei ist, den Klub auf eine zeitgenössische Transferpolitik auszurichten - mit jungen Internationalen wie Benjamin Pavard oder vielleicht bald Lucas Hernández und internationalen Toptalenten wie Alphonso Davies oder vielleicht bald Collum Hudson-Odoi.

Dies führt zur fünften Aufgabe, bei der vielleicht sogar Herkules ins Schwitzen geraten könnte, denn ganz große Tiere sind ja oft noch schwerer zu kontrollieren als der nemeische Löwe. So werden Präsident Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auch in der Rückrunde zu ihrer Zukunft und zu der des herkulesartigen Titanen Oliver Kahn befragt werden, und sie sollten dazu lieber keine Pressekonferenz geben. Es geht dabei wie immer von oben nach unten: Nur wenn Kovac den Rückhalt von oben spürt und von oben auch geführt wird, kann er eine Etage tiefer die Elf in den Umbruch und nebenher noch auf die Dortmund-Jagd führen.

Sechstens wartet übrigens bald Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool. Dieses Champions-League-Duell markiert die Fallhöhe: Ein Aus im Achtelfinale könnte die Arbeit im Klub so erschweren, dass womöglich selbst Herkules Hilfe bräuchte.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2019
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