Süddeutsche Zeitung

Transfers beim FC Bayern:Der Vielfraß setzt sich auf Diät

Lesezeit: 3 min

Der FC Bayern startet unter neuen Voraussetzungen in die Saison: Trainer Julian Nagelsmann kann vorerst nicht mehr mit teuren Zugängen rechnen - dahinter steckt ein Plan für die Zeit nach der Pandemie.

Von Christof Kneer, München

Denzel Dumfries ist kürzlich zum FC Bayern gewechselt, zumindest als Gerücht im Europameisterschafts-Fernsehen. So einen stürmischen Rechtsverteidiger könne sich der neue Bayern-Trainer Julian Nagelsmann gut vorstellen, hieß es, wenn der Niederländer wieder mal den rechten Flügel hinauf- und hinunterjagte. Richtig ist, dass die Planstelle "offensiver Rechtsverteidiger" tatsächlich unbesetzt ist beim FC Bayern, aber wahrscheinlich wird sie das auch bleiben. Dumfries steht vor einem Wechsel zu Inter Mailand und soll dort Achraf Hakimi ersetzen, noch so einen Seitenstreifensprinter. Hakimi wechselt übrigens zu Paris Saint-Germain.

Was ist da los? Schlafen die Bayern? Zwei Spieler im besten und allerbesten Alter, 25 und 22, und man lässt die einfach so zur Konkurrenz ziehen? Die Antworten lauten: nein, ja und nein. Nein, die Bayern schlafen nicht. Ja, sie lassen die Spieler ziehen. Aber nein, nicht einfach so. Sondern mit Absicht.

An diesem Mittwoch beginnt die neue Bayern-Ära zum zweiten Mal. Am Montag hat der neue Vorstandschef Oliver Kahn ein paar plakative Botschaften unters Volk gebracht, am Mittwoch legt nun Julian Nagelsmann los. Der neue Trainer bittet seine Spieler zum Auftakttraining, er tut das mit einer Autorität, die in der langen Geschichte des FC Bayern noch kein Trainer besaß. Noch nie hat ein Bayern-Trainer einen Fünfjahres-Vertrag ausgehändigt bekommen, aber Nagelsmann trauen sie zu, die anspruchsvolle Mannschaft und vielleicht sogar die untrainierbaren Geschäftsstellenflure in den Griff zu bekommen.

Die Nachwuchsakademie soll "ein ganz wichtiger Faktor" werden

Von diesen Fluren hat der Trainer inzwischen klare Signale erhalten, öffentlich, sodass es jeder mitschreiben konnte. Oliver Kahn hat gesagt: "Beim FC Bayern muss der Erfolg sehr schnell kommen, der FC Bayern ist sehr gefräßig, was seine Titelambitionen anbelangt." Und: "Wir erwarten vom Trainer, dass er viele junge Spieler nach vorn bringt, die wir vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm haben." Der klubeigene Nachwuchscampus solle "ein ganz wichtiger Faktor" werden.

Der Neue soll also ein bioeierlegender Wollmilchsaucoach sein, der mit weniger Transfers als früher genauso viele Titel gewinnt - und entspannt zusieht, wie Inter Mailand und Paris Saint-Germain Dumfries und Hakimi verpflichten, während er Josip Stanisic, 21, oder Christopher Scott, 19, aus der zweiten Mannschaft zu schnittigen Rechtsverteidigern umfrisiert. Oder auch den ein oder anderen Richards: Der 21-jährige Amerikaner Chris Richards ist von seiner Leihe aus Hoffenheim zurück und bietet sich als Innenverteidiger an; der 23-jährige Engländer Omar Richards, ein gebürtiger Linksverteidiger, ist vom englischen Zweitligisten Reading nach München gewechselt.

Im Klub versichern sie, der grundsätzlich recht forsche Trainer habe die neuen Vorgaben gerne akzeptiert: Ein vernünftiger junger Mann sei das, der hohes Verständnis aufbringe für die Zwangslagen eines Klubs, der in der Pandemie einen Verlust von 150 Millionen Euro erwarte. Nagelsmann wisse, dass man in dieser schwierigen Zeit nicht jede Position doppelt besetzen könne, und wenn sie das so sagen im Klub, klingt das immer nach einer kleinen Spitze in Richtung des verflossenen Hansi Flick. Der wollte genau das, und seine Argumentation war, dass man sich einen zweiten Rechtsverteidiger locker leisten könnte, wenn man nicht so viel Ablöse in Michael Cuisance investiert oder Lucas Hernandez und Leroy Sané nicht so spektakuläre Gagen bewilligt hätte.

Der verzweifelte FC Barcelona gilt als abschreckendes Beispiel

Flick wird nun als Bundestrainer verfolgen, ob der Plan seines Ex-Vereins aufgeht. Angesichts der pandemischen Etatlöcher plant der FC Bayern einen vorübergehenden Strategiewechsel, die Münchner haben sich eine gewisse Selbstbeschränkung verordnet. Der Vielfraß, um es mit Kahn zu sagen, hat sich auf Diät gesetzt. Nach der mehr als 40 Millionen Euro teuren Verpflichtung des Leipzigers Dayot Upamecano und dem auch nicht billigen Erwerb des neuen Trainers (15 Millionen plus ein großes X) wollen die Bayern zurzeit keine großen Transfers tätigen und lieber auf Zeit spielen; mal schauen, wie die Branche nach der Pandemie so dasteht. Sie sehen in München ja, wie verzweifelt der FC Barcelona teure Profis wie Samuel Umtiti und Miralem Pjanic auf dem Markt anbietet - Hauptsache, es werden wenigstens ein paar Gehaltsmillionen frei, um den zurzeit offiziell vereinslosen Lionel Messi halten zu können. Wer jetzt geduldig bleibt und keine Fehler macht, so Bayerns Kalkül, werde nach der Pandemie der große Gewinner sein.

Leon Goretzka, Niklas Süle (jeweils Vertrag bis 2022) und Kingsley Coman (2023) sollten also davon ausgehen, dass es dem FC Bayern ernst ist, wenn Kahn solche Sätze sagt: Er sei nicht naiv und wisse, "dass absolute Topspieler entsprechend bezahlt werden, aber wir haben unsere Grenzen definiert". Zur Not, heißt das im Subtext, würde man wieder einen Spieler ablösefrei gehen lassen, so wie gerade David Alaba.

Die Bayern wollen so auch vermeiden, in eine Spirale hineingetrieben zu werden, aus der es schon deshalb kein Entrinnen mehr gibt, weil die Zahlen nicht mehr geheim bleiben. Ein exklusiver Kreis an Beratern teilt die Spieler inzwischen unter sich auf und gewinnt so automatisch Einblick in die Klubbücher. Der sagenumwobene Pini Zahavi hat schon für Lewandowski und Alaba verhandelt und tut es nun für Coman; Goretzka steht neuerdings der Berater Thomas Kroth zur Seite, der sich bei Manuel Neuers Vertragsverlängerung schon mal mit den Bayern angelegt hat; Süles Agentur vertritt auch den Bayern-Zugang Dayot Upamecano und weiß also, was der verdient. Die Agentur vertritt übrigens auch den Trainer Nagelsmann.

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