Süddeutsche Zeitung

FC Bayern im DFB-Pokal:Aufsehenerregender Auftritt eines 17-Jährigen

Lesezeit: 3 min

Mathys Tel hält beim Pokalsieg der Bayern über Viktoria Köln mit großer Selbstverständlichkeit das Niveau seiner Mitspieler. Seine Dribblings beeindrucken - nur seine Mitspieler müssen ihn manchmal einfangen.

Von Philipp Selldorf, Köln

Der Profifußball ist zwar, wie die Moralisten nicht müde werden zu betonen, ein "Milliardengeschäft". Das heißt aber nicht, dass die Leute nicht auch nett zueinander sein können. Beim Pokalspiel zwischen Viktoria Köln und dem FC Bayern München waren sie sogar besonders nett zueinander. Das begann damit, dass die Gäste dem Drittligisten die Hälfte der Anteile ihrer Einnahmen am Ticketerlös überließen und zudem mit ihren Anhängern für ein volles Haus in Müngersdorf sorgten. 50 000 Menschen waren aus allen Ecken und Enden Nordrhein-Westfalens und der weiteren Umgebung gekommen, die meisten von ihnen zählten zur Gemeinde der Bayern-Bewunderer.

Für diese Besucher war es, wie ihr Verhalten anzeigte, ein wunderbarer Abend, wenngleich nicht ganz so wunderbar wie für die Angehörigen des FC Viktoria, die mit Glücksgefühlen auf ihre Rheinseite zurückkehrten. Sie hatten 0:5 verloren, das schon, aber es schlugen keine 15 oder 20 Bälle in ihrem Tor ein, wie Trainer Olaf Janßen nach dem Studium des Gegners ernsthaft befürchtet hatte. Ein "mulmiges Gefühl" hatte ihn da beschlichen, wie er am späten Mittwochabend zugab. Gegenpressing und Positionsspiel der Bayern seien "extremst außergewöhnlich", schwärmte Janßen, altgedienter Bundesligaprofi beim 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt. Der 55 Jahre alte Trainer freute sich aber nicht nur darüber, dass seine Elf trotzdem ordentlich standgehalten und mehr als eine halbe Stunde die Null bewahrt hatte. Er dankte auch den Münchnern, dass sie nach ihren ersten Treffern "kein Mitleid mit uns hatten" und stattdessen ambitioniert weiterspielten. Denn was ist demütigender als das Mitleid des Überlegenen? Besonders dem Viktoria-Torwart Ben Alexander Voll, 21, kam der Ehrgeiz der Bayern zugute. So konnte er genügend spektakuläre Paraden zeigen, um sich vor dem Schließen des Transfermarktes noch für einen Millionenvertrag in der Premier League zu empfehlen.

Auch Julian Nagelsmann verließ zufrieden das Haus, nachdem er anfangs hatte schimpfen müssen, weil hier und da die nötige Körperspannung fehlte. Serge Gnabry und Sadio Mané zum Beispiel schienen sich die Sache etwas leichter vorgestellt zu haben. Doch der Abend sollte den Bayern-Trainer schließlich noch in seinem Eindruck bestätigen, dass der tendenziell unbefriedigenden Vorsaison ein besseres Jahr folgen könnte. "Der Geist ist sehr, sehr wichtig", fasste er seine Erkenntnisse zusammen und meinte damit keine spirituelle Erleuchtung, sondern die Kombination aus Leistungsbereitschaft und Zusammenarbeit, die er in seiner Mannschaft sieht.

Der Abend in Köln lässt erahnen, dass die Rechnung mit Tel aufgehen könnte

Auch die im Sommer hinzugekommenen Spieler haben die Kultur des Hauses bereits zu spüren bekommen. Der aufsehenerregende Auftritt des 17 Jahre alten Angreifers Mathys Tel gab Nagelsmann die Gelegenheit, die selbstregulierenden Kräfte in der Kabine zu loben. Tel, für gleichfalls aufsehenerregende 25 bis 30 Millionen Euro aus Rennes gekommen, fiel bereits dadurch auf, dass er wie selbstverständlich das Niveau seiner Mitspieler hielt. Sein Dribbling, sein Antritt, sein Torschuss (kurz vor der Pause entstand daraus das 2:0), das alles hatte eine beeindruckende Dimension. "Er hat eine fußballerische Klasse, die angeboren ist", sagte Sportchef Hasan Salihamidzic mit einem Stolz, der ihm nicht zu verdenken ist. So viel Geld in einen Teenager zu stecken, ist ein Wagnis. Der Abend in Köln ließ erahnen, dass die Rechnung aufgehen könnte.

Laut Nagelsmann hat Tel, der bei Stade Rennes lediglich ein paar Kurzeinsätze verzeichnete, seit seiner Ankunft keine falsche Scheu gezeigt vor den berühmten Kollegen. Ab und an war es sogar zu wenig Scheu. Er habe es "teilweise übertrieben" mit den ballverliebten Soli, meinte Nagelsmann: "Zum Glück ist die Teamhygiene so gut, dass er einen Einlauf bekommen hat, wenn er nicht abgespielt hat." Zum Glück für Tel spielt kein Jens Jeremies mehr bei den Bayern, sonst wäre es womöglich schmerzhaft geworden.

Diesmal musste niemand den jungen Franzosen zurechtweisen, Tel reihte sich ein und fiel dadurch auf, dass er sich passgenau ins Offensivspiel fügte. "Er ist ein Spieler, den wir brauchen", sagte Nagelsmann. Ein Satz, der bei der Konkurrenz Entsetzen hervorrufen musste - man sollte doch meinen, der Münchner Spitzenspielerbestand erfüllte auch ohne ein 17-jähriges Sondertalent die Erfordernisse. Der Blick auf die Einwechslungen am Mittwochabend unterstützte diese Auffassung. Viktoria-Sportvorstand Franz Wunderlich staunte: "Da geht der eine ICE raus, und der andere ICE kommt rein."

Der Schnellzugvergleich traf besonders auf den Einwechselspieler Leon Goretzka zu, der tatsächlich wie eine geländegängige Zugmaschine vorwärts preschte, bevor er das 5:0 erzielte (82.). Durch den vielversprechenden Einstand des Neulings Ryan Gravenberch und die Rückkehr des von einer Knieverletzung kurierten Nationalspielers Goretzka gerät Nagelsmann bei der Besetzung seines zentralen Mittelfelds in eine Not, in der er gern steckt: "Es ist nicht leicht auszuwählen, aber lieber so als andersrum." Der Kölner Coach Olaf Janßen wagte eine Prognose zum Projekt FCB, als er seinen Münchner Kollegen verabschiedete. "Ich glaube", sagte er schmunzelnd, "das wird gut."

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