Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Wohin mit Thomas Müller?

Lesezeit: 4 min

Von Claudio Catuogno, Athen

Der Mann, der den Branchengesetzen des Fußballs zufolge "zu den Verlierern des Spiels" gezählt werden musste und der bestimmt "einen bitteren Abend" erlebt hatte, dieser Mann kam nun gut gelaunt um die Ecke gebogen. Draußen vor dem Tor brummte der Bayern-Bus, umlagert von mehreren Hundert griechischen Fans, die einfach mal einen Blick auf die Münchner Superfußballer werfen wollten, und denen es ziemlich egal war, ob diese Fußballer nun in einer Groß- oder einer Klein-Krise stecken. Und drinnen erschien also Thomas Müller und schob feixend ("Heute machst du mal") den jungen Joshua Kimmich vor die Kameras und Mikrofone.

Also sprach Kimmich, 23, und Müller, 29, schaute zu. Das hatte eine innere Logik. Kimmich war schließlich in der Startelf gestanden bei diesem 2:0 (0:0) im Champions-League-Gruppenspiel bei AEK Athen, wie auch schon in allen Partien der Saison davor, inklusive Nationalelf. Müller hingegen hatte mal wieder von draußen zuschauen müssen, wie zuletzt schon beim Länderspiel in Paris und beim jüngsten Bundesliga-Auswärtssieg der Bayern in Wolfsburg.

Es sprach für Müllers nach wie vor herausragende Autorität, dass sich Kimmich von ihm brav durch die Mixed-Zone des Athener Olympiastadions lotsen lies. Es sprach dann aber auch für einen gewissen Ernst der Lage in Müllers Stürmerkarriere, was Kimmich dort sagte. Wie er Müller derzeit erlebe, wurde Kimmich gefragt. "Ich hab's ihm gerade auch gesagt", antwortete der, "ich find's überragend, wie er sich verhält, wie er trotzdem immer positiv ist. Jeder weiß ja, dass es sein Anspruch ist, hier bei Bayern auch zu spielen. Aber er ist einer, der trotzdem immer anfeuert, der auch in so einer Phase immer einen Spruch auf Lager hat und seine Art nicht verliert. Das ist echt überragend." Das klang nach Respekt, Verehrung und Dankbarkeit. Aber auch ein bisschen nach Mitleid.

Thomas Müller hat dann selbst noch mitgeteilt, dass der Abend für ihn in Ordnung gewesen sei, "der Trainer stellt auf", sagte er verständnisvoll, und er war ja immerhin für Serge Gnabry eingewechselt worden. Er hatte in der Schlussphase geholfen, die von Javi Martínez (61.) und Robert Lewandowski (63.) herausgeschossene Führung zu sichern. Müller findet, man dürfe ihn durchaus bei den Gewinnern einordnen. Auch er hatte ja gewonnen.

Aber wie geht es nun weiter? Nach zuvor vier sieglosen Partien war der Athener Arbeitssieg der zweite Erfolg in Serie. Noch ist allerdings nicht klar, ob dieser Plan aufgehen kann: sich vor allem dadurch wieder auf ein höheres Niveau zu heben, dass man halt gewinnt, egal wie, und dass dann mit den Siegen auch die Automatismen zurückkommen. Müsste es nicht auch umgekehrt sein: eingeübte Automatismen und eine klare Spielidee als Basis für weitere Siege?

Nun, vorerst geht es den Bayern nur ums schnöde Gewinnen: "Wenn du verlierst, dann ist alles schlecht, dann hat man keine Freunde", sagte Arjen Robben, "wenn man gewinnt, wird alles ruhiger. Und je mehr Spiele man gewinnt, desto ruhiger wird es." Joshua Kimmich ergänzte: "Solange wir die Spiele gewinnen, ist es mir völlig egal, ob wir glänzen oder nicht." Gewinnen ist die beste Medizin, und je mehr man darüber spricht, desto besser wirkt sie: Wohl auch deshalb bestand der Trainer Niko Kovac am Dienstag darauf, ein "sehr, sehr gutes Spiel" seiner Elf und überhaupt "sehr viel Gutes" gesehen zu haben.

Es war das mit Abstand euphorischste Urteil über einen mit einigem Ächzen und Quietschen hervorgebrachten Pflichtsieg. Wirklich Auskunft darüber geben, welche Selbstheilungskräfte Kovac und seine Spieler freisetzen können, wird wohl erst das Treffen mit dem derzeitigen Tabellenführer Borussia Dortmund Mitte November.

Doch manches deutet sich jetzt schon an. Etwa, dass sich gerade die Teamstatik ein bisschen zu verschieben scheint, dass die Münchner Krisenwochen tatsächlich Gewinner und Verlierer hervorbringen, jedenfalls in der internen Hierarchie.

Die Bayern-Großbosse Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß (und ein bisschen auch der Kleinboss Hasan Salihamidzic) haben sich am vergangenen Freitag bekanntlich sehr darüber aufgeregt, dass Spielern wie Manuel Neuer oder Jérôme Boateng von Medien und TV-Experten der angemessene Respekt verwehrt werde. Über Müller sprachen sie in ihrer Pressekonferenz nicht, was bestimmt nur Zufall war - vielleicht aber gepaart mit der Erkenntnis, dass es gerade weniger dringlich ist, den seit Monaten nach seiner Form suchenden Angreifer starkzureden als die aus Verletzungen zurückgekehrten Boateng und Neuer.

Auf Müllers Position kann man den Bayern auch nicht vorwerfen, sie hätten ihren Kader zu knapp kalkuliert. Aber alle Alternativen, die das Team hergibt, müssen halt erst mal an dieser Klub-Ikone vorbei, und das war bisher kaum denkbar. Hätte Rummenigge die Öffentlichkeit am Freitag nicht eines Besseren belehrt: Fast hätte man meinen können, Artikel eins des Klubgrundgesetzes laute: "Die Hürde Müller ist unüberwindbar."

"Müller spielt immer", den Satz hat einst Louis van Gaal geprägt, und wenn seine Trainernachfolger Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti in wichtigen Spielen dagegen verstießen, fand sich immer irgendwo ein Fachmann, der darin unverzeihlichen Prinzipienverrat erkannte. Mag sein, dass Müller oft etwas orientierungslos wirkt - aber, hey: Er ist doch als Mentalitätsmonster unverzichtbar! Diese Gewissheit scheint nicht mehr zu gelten. In Athen lag das auch daran, dass der zum Siegen verdammte Trainer Kovac auf jede Rotation verzichtete.

Er schickte die gleiche Elf auf den Platz wie gegen Wolfsburg, lediglich Rafinha ersetzte links hinten den angeschlagenen David Alaba. Das bedeutete auch: Serge Gnabry durfte erneut von Beginn an mitwirken. Der Bundestrainer Joachim Löw, selbst stark unter Druck und deshalb zu mutigen Entscheidungen gezwungen, hatte für diese Personalie kürzlich die Vorlage geliefert: Gnabry war Teil seiner Erneuerungs-Elf im verlorenen, aber viel gelobten Spiel gegen Frankreich. Nun vertraut ihm auch Kovac zunehmend die wichtigen Aufgaben an, wenn auch vorerst auf der linken Seite, wo in Athen Franck Ribéry mit einer Wirbelblockade fehlte. Gnabry kann aber auch rechts, als Alternative zu Robben und - Müller.

Der 23-jährige Gnabry zählt gerade unzweifelhaft zu den Gewinnern. In Athen belebte er das Spiel und bereitete beide Treffer mit vor. Später wurde er gefragt, wie er damit umgehe, dass immer "ein Hochkaräter" draußen bleibe müsse, wenn er von Beginn an spiele. Darauf Gnabry trocken: "Wieso, wenn ich nicht spiele, ist doch auch ein Hochkaräter draußen!"

Ja, so ist das gerade: Der FC Bayern ist sich noch nicht sicher, welche Ansprüche er schon wieder formulieren kann und soll, und Serge Gnabry formuliert derweil forsch seine eigenen.

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SZ vom 25.10.2018
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