Süddeutsche Zeitung

Bayern-Gegner Donezk:Vertriebene Bergarbeiter

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Aumüller

Das Tor war weder besonders schön noch besonders wichtig, aber bei Schachtjor Donezk denken sie derzeit oft daran. Douglas Costa zog von rechts nach innen, ein Schuss mit links ins lange Eck, ein Aufsetzer, ein Fehlgriff des gegnerischen Torwarts, drin.

Es war der 2. Mai 2014, das 3:1 gegen Mariupol - und es war das vorerst letzte Tor, das der Fußball-Verein Schachtjor Donezk in Donezk erzielt hat. Seit Sommer sind die "Gornjaki" (Bergarbeiter) ein Klub ohne Heimat. Und mit jedem Tag, der vergeht, verfestigt sich die Frage, ob der Klub ohne Heimat bald auch ein Klub ohne Zukunft ist; zumindest ohne eine Zukunft auf seinem jetzigen Niveau.

Schachtjor Donezk, das ist das große Erfolgsprojekt des osteuropäischen Fußballs in der vergangenen Dekade. Vor allem dank seines Oligarchen Rinat Achmetow, der in Stadt und Fußballverein auf mysteriöse Art an die Macht kam - und der den Klub stets als wichtiges Element begriff, um sich die ganze Region untertan zu machen. Schachtjor Donezk, das sollte nicht nur die Konstruktion eines Vereinsnamens wie Bayern München sein, Schachtjor, das sollte Donezk sein. Mehrere hundert Millionen Euro investierte er in Mannschaft, Umfeld und Stadion.

Die Folge: neun Meistertitel, davon zuletzt fünf nacheinander, 2009 der Triumph im Uefa-Pokal, regelmäßige Qualifikationen für die Playoff-Phase der Champions League - so wie auch in dieser Saison, wenn die Donezker am Dienstag (20.45 Uhr) mit ihrem Duell gegen den FC Bayern das Achtelfinale der Königsklasse beginnen.

Schachtjor wähnte sich auf dem Weg nach ganz oben in Europa. Doch dann begann in Donezk der Krieg.

Es kamen die Waffen, die Soldaten, es kam die Herrschaft der Separatisten, die Volksrepublik. Viele Menschen wurden vertrieben, der Klub auch, er trainiert nun in Kiew und spielt in Lwiw. Im August beschädigten Granatensplitter das mehr als 350 Millionen Euro teure Stadion, zur EM 2012 fertiggestellt und das augenscheinlichste Symbol des Donezker Anspruchsdenkens. Fußball spielt dort niemand mehr, es ist inzwischen ein Zentrum für humanitäre Hilfe.

Wer in diesen Tagen mit Leuten aus dem Klub oder dem Umfeld spricht, hört den immer gleichen Satz: "Ich hoffe, dass wir bald nach Donezk zurückkehren können." Doch zugleich ist bei allen der Zweifel herauszuhören, dass dies wirklich gelingt. Über Monate setzten sich die militärischen Kampfhandlungen fort, jetzt ist ungewiss, was die politische Friedensvereinbarung von Minsk bringt. Schachtjor hat kürzlich bekannt gegeben, dass es den Vertrag mit dem Stadion-Betreiber seines Ausweichortes Lwiw fürs komplette Jahr 2015 verlängert habe.

Lwiw, ausgerechnet Lwiw, weit im Westen des Landes, 1200 Kilometer von Donezk entfernt. Die Ukraine ist ein gespaltenes Land, und nun spielt der Vorzeigeklub des russlandzugewandten Ostens in der Stadt, die für den europanahen Westen steht. Schachtjor hat das in vielen Partien der Hinrunde zu spüren bekommen: Die Tickets kosten weniger als einen Euro, aber es gibt in Lwiw nicht viele Fans der Gornjaki - und oft dominieren von den Rängen die Pfiffe gegen Schachtjor. In Partien, die der offizielle Plan als "Heimspiele" ausweist. Schon führen die Verantwortlichen diese Situation als einen Grund dafür an, dass Schachtjor zur Saison-Halbzeit ausnahmsweise nur Zweiter ist, fünf Punkte hinter Dynamo Kiew.

Niemand weiß derzeit genau, wie es weitergeht. In der Winterpause stand nahezu jeder Donezker Spieler mal vor einem Wechsel, vor allem das von Top-Angreifer Luiz Adriano angeführte Dutzend Brasilianer; gegangen ist am Ende nur einer, Verteidiger Dmitrij Tschigrinskij. Trainer Mircea Lucescu, bereits im elften Jahr im Amt, will angeblich gehen: Er beklagt die sportlichen Nachteile, wenn eine Mannschaft keine richtigen Heim- spiele habe.

Aber vor allem weiß niemand, wie es mit Klub-Patron Rinat Achmetow weitergeht. "Der Präsident liebt den Verein, daran ändert sich nichts", gibt sich Darijo Srna überzeugt, der kroatische Kapitän. Aber es ändert sich halt sonst so einiges. Früher war Achmetow der reichste und wahrscheinlich sogar einflussreichste Mann des Landes. Seit dem Umsturz und dem Kriegsbeginn laviert er zwischen den Kräften, aber seine Macht in Politik und Wirtschaft schwindet. Er hat jetzt andere Sorgen als Fußball, was im nationalen Verband schon zu spüren ist: Zuletzt führte dank Achmetows Gunst Anatolij Konkow die Föderation, er trat nun aber zurück. Zu den Favoriten bei den Neuwahlen zählt Achmetows ewiger Oligarchen-Rivale Igor Kolomoiskij, Eigner von Dnjepr Dnjepropetrowsk.

Schachtjor leidet jetzt auch an einer ungewohnten Konstellation. Mehr als ein Jahrzehnt war der Klub ein Identitätsstifter für eine ganze Region. Und nun wollen ihn verschiedene Gruppen auf ihre Weise deuten; ausgerechnet jene, die sich immer unter dem Banner des Klubs vereinigten. Da sind viele Ultras, die schon immer proukrainischer waren als die Klubführung und die sich den Freiwilligen-Bataillonen der ukrainischen Armee angeschlossen haben.

Da sind andererseits die Gruppierungen, die bei der Brasilien-Tour in der Winterpause mit Fahnen und Bannern der Volksrepublik Donezk am Seitenrand standen. Und da sind wiederum andererseits Fans in Donezk, die Schachtjors Spieler als Verräter beschimpfen, weil sie überhaupt in den Westen gegangen sind und die in den Ruinen der Volksrepublik Donezk ein neues, reines Schachtjor aufbauen wollen.

Selbst für den Fall, dass in der Stadt wieder Frieden einkehrt: Niemand weiß, ob nach Douglas Costa jemals noch mal jemand für Schachtjor Donezk in Donezk ein Tor schießen wird.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2015
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