Süddeutsche Zeitung

Basketball:Die Herausforderung wird umarmt

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Nach einer Saison ohne Titel wollen die Basketballer des FC Bayern München neue Wege gehen. Trainer Trinchieri setzt auf jüngere, frischere Spieler - und ist selbst gespannt, wie das klappt.

Von Thomas Becker

Seit ein paar Jahren unterhält der FC Bayern Basketball eine Partnerschaft mit der Ferienregion Trentino, und so findet das erste Trainingslager der Saison fast schon traditionell in Bruneck im Pustertal statt. Für Coach Andrea Trinchieri ist das fast noch ein Heimspiel, früher war er oft zum Skifahren hier, drüben in La Villa, Alta Badia. Zudem gerät so für den 54-Jährigen der Übergang aus dem Urlaub in seiner Mailänder Heimat nicht ganz so abrupt. Für die Zugänge aus den USA ist der Anblick der spektakulären Dolomitenlandschaft dagegen so fremd und ungewohnt gewesen, dass auch die coolen Kerls ein Handyfoto nach dem anderen geschossen haben. An einem Tag stieg die ganze Gruppe in die Gondel und fuhr hoch auf den Kronplatz, auf knapp 2300 Meter. Lumen, das schicke Museum von Reinhold Messner, ließen sie links liegen, und auch den Skyscraper schauten sie sich nur aus der Entfernung an. Auf einer Schaukel sitzend wird man dort 15 Meter in die Höhe gezogen und dann katapultartig ins Panorama geschleudert, bevor es wieder down to earth geht - ein Bild, das die vergangene Achterbahnsaison der Bayern-Basketballer ganz gut beschreibt.

Fragt man Trinchieri, wie die Spielzeit 21/22 für ihn war, sagt er erstmal nur: "Sehr fordernd." Um dann vom Sommerurlaub zu berichten: "Mein Plan war, mich wieder aufzuladen, weil ich am Ende der letzten Saison todmüde war." Acht Tage sei er auf einem Boot vor Kroatien gewesen, vier, fünf Tage noch in Milano Marittima und in den Bergen - das war's. Ansonsten habe er daheim seine Familie und seine Katzen genossen. "Die Arbeit habe ich Daniele machen lassen. Der hat natürlich oft angerufen. Das Handy im Urlaub auszumachen, schaffe ich zwar nicht, aber es erreicht mich auch nicht jeder."

"Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mal gegen die Wand fahren, ist sehr groß."

Daniele, Nachname Baiesi, schon. Mit seinem Sportdirektor hat Trinchieri an etwas gearbeitet, das er nun "eine neue Philosophie" nennt, und die geht so: "Junge, frische Jungs. Für ein Euroleague-Team ist es sehr schwierig, Rookies wichtige Spielminuten zu geben. In der Euroleague spielen immer dieselben Spieler. Wir sind nun in eine andere Richtung gegangen - und sind genauso gespannt wie die Fans, ob das klappt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mal gegen die Wand fahren, ist sehr groß - und in diesem Moment wird sich unsere Saison entscheiden."

Das Dilemma der vergangenen Bayern-Saison: In der Euroleague waren sie exzellent, in der Bundesliga hatten sie Probleme, so dass am Ende wieder Alba Berlin die Nase vorn hatte. "Wir hatten eine Rotation, die sehr schmerzhaft war", erklärt Trinchieri in Bruneck, "deshalb werde ich nun versuchen, eine Balance hinzubekommen. Wenn ich zum Audi Dome kam, war die Frage immer: 'Was ist heute das Problem? Wer hat Covid? Wer ist verletzt? Wie werden wir spielen?' Ich hatte noch nie eine Saison mit so vielen schlechten Nachrichten. Ich hätte gern eine normale Saison gehabt, um das wahre Potenzial des Teams zu sehen. Aber so: keine Ahnung, wie es im letzten Jahr war."

Somit war für den Coach der Fokus im Sommer klar: "Wie halte ich mein Team während der Saison frisch? Da müssen wir einiges anders machen. Vier Covid-Cluster im letzten Herbst haben unsere Vorbereitung zerstört. Einige Spieler mussten mehr spielen, als sie konnten, und dann stehst du zum Saisonende nur noch mit acht Spielern da. Musst nach Oldenburg, nachdem du die Nacht zuvor gespielt hast - und kein Mensch sagt auch nur ein Wort! Keine Liga der Welt akzeptiert zwei Spiele in weniger als 24 Stunden."

Der ewige Spagat zwischen Euroleague und BBL. Wenn man Trinchieri ärgern will, fragt man ihn, ob er lieber das Final Four erreichen oder deutscher Meister werden will. So blumig und metaphernreich er sonst gerne antwortet, so kurz angebunden reagiert er auf diese impertinente Frage: "So mag ich nicht denken. Egal welche Antwort ich geben würde: Ich wäre nicht glücklich damit." Also gibt er lieber keine Antwort.

Derzeit versuche er noch zu verstehen, wie sein Team spielen wird, sagt Trinchieri

Nach dem Trainingslager ist es am vergangenen Wochenende erneut nach Italien gegangen, zur Trofeo d'Abruzzo. Viele Siege gab es noch nicht in den Testspielen seit Bruneck, der Münchner Kader war auch noch ausgedünnt. Aber dieses Vorbereitungsturnier in Teramo haben sie nun gewonnen, mit Siegen gegen den italienischen Erstligisten Pesaro (72:38) und im Finale gegen AEK Athen (76:59).

Dass es nach zwei Jahren im Bayern-Amt und dem Pokalsieg 2021 allmählich Zeit wird mit einem weiteren Titel, weiß Trinchieri selbst: "Ich bin es nicht gewohnt, ohne Titel nach Hause zu gehen. Das ist etwas, was ich nicht mag. Wir wollen Titel." Aber wie stark ist nun der Kader, der ihm heuer zur Verfügung steht, ohne Top-Spieler Darrun Hilliard, der zu Maccabi Tel Aviv wechselte? Allzu viel könne er noch nicht sagen, aber die Neuen seien mit großen Augen und dem Wunsch gekommen, zu lernen, sich auf ein anderes Level zu bringen. Derzeit versuche er noch zu verstehen, wie sein Team spielen wird, sagt Trinchieri: "Die Kunst war, die Spieler zu finden, die uns das geben, was wir in der letzten Saison nicht hatten: einen big man, der den Ring schützt - Freddie Gillespie kann das. Er ist noch sehr jung, hat unfassbar lange Arme. Dann wollten wir einen kreativen Spieler, einen wie Cassius Winston. Jeder Trainer will Lewandowski und Mbappé verpflichten, aber da wir das nicht können, umarme ich die Herausforderung, es eben mit anderen, jüngeren Spieler zu versuchen."

Aus BBL-Perspektive liegen Spieler mit NBA-Erfahrung wie Gillespie, Winston und der derzeit noch verletzte Isaac Bonga durchaus in einem der oberen Regale, das für BBL-Klubs unerreichbar ist - aber international? Trinchieri sagt: "Wenn man sich die Kader von Barcelona, Real Madrid, Monaco und Fenerbahce ansieht: unglaublich! Maccabi Tel Aviv: stärkster Kader seit zehn Jahren. Wir sind Nummer 14 oder 15 im Ranking, aber ich will unter die ersten Acht. Wir haben das schon mal geschafft, warum sollten wir es nicht nochmal versuchen?"

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