Süddeutsche Zeitung

FC Augsburg:Der Spätberufene

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Jahrelang waren die Augsburger mit ihren Torhütern nicht mehr so richtig glücklich. In dieser Saison steht in Rafal Gikiewicz, 33, endlich wieder ein Keeper zwischen den Pfosten, dem sie vertrauen. Er überzeugt mit Ruhe, Reflexen und Erfolgshunger.

Von Christoph Ruf

Eine "undankbare Aufgabe" erwartet Heiko Herrlich beim Auswärtsspiel am Sonntag auf Schalke. Das mag eine Einschätzung sein, die angesichts der bisherigen Saisonbilanz des Gegners erklärungsbedürftig ist. Also wurde sie erklärt: "Es wird erwartet, dass wir die Punkte beim Tabellenletzten im Vorbeigehen mitnehmen. Gerade das ist die Gefahr - dass man Schalke erst mal unterschätzt." Dafür, dass genau das nicht passiert, dürfte indes schon der Mann sorgen, den viele für den besten Augsburger Individualisten in dieser Spielzeit halten. "Rafal Gikiewicz tut unserer Mannschaft gut", sagt Herrlich, "weil er Dinge wie Leistungsbereitschaft und Professionalität vorlebt."

Obwohl er erst im Sommer von Union Berlin kam, ist Torhüter Gikiewicz bereits ein ganz wichtiger Spieler beim FCA. Um diesen Status zu erreichen, ist ein solch explosives Temperament, wie es der 33-jährige Pole hat, oft von Vorteil. Doch selbst das nützt in der teaminternen Statik einer Bundesligamannschaft nicht viel, wenn die Leistung nicht stimmt.

An einen echten Fehler können sich auch die Fans nicht erinnern, die alle Saisonspiele gesehen haben

Da trifft es sich gut, dass es um die bei Gikiewicz in dieser Saison bestens bestellt ist. An einen echten Fehler können sich auch die Fans nicht erinnern, die alle Augsburger Saisonspiele über 90 Minuten gesehen haben. Umso besser sind ihnen Partien wie das 3:1 gegen Gladbach Mitte März oder der 1:0-Sieg in Mainz ein paar Wochen zuvor in Erinnerung. Es waren Begegnungen, bei denen sich der FCA nach Kräften mühte, die aber mit einem anderen Keeper auch anders hätten ausgehen können.

Dabei ist Gikiewicz in der Wahrnehmung der meisten Fußballbeobachter ein Spätberufener. Sein erstes Bundesligaspiel machte er im Januar 2018 als 30-Jähriger. In seinen ersten beiden Jahren beim damaligen Zweitligisten Braunschweig (2014-2016) war er Stammkeeper, was außerhalb von Niedersachsen weitgehend unbemerkt blieb. Die zwei darauffolgenden Jahre in Freiburg dürfte Gikiewicz im Nachhinein als verlorene ansehen. Am damaligen Stammtorwart kam er nicht vorbei. Doch während Alexander Schwolow heute bei Hertha BSC nur dann spielt, wenn Rune Jarstein ausfällt, ist Gikiewicz' Bundesliga-Stammplatz seit fast zwei Jahren so sicher wie der von Manuel Neuer beim FC Bayern.

Dass mancher Eintrag in den Augsburger Fan-Foren einer regelrechten Heldenverehrung gleichkommt, erklärt sich dabei auch aus der jüngeren Vereinsgeschichte. Denn so richtig glücklich waren die Schwaben mit ihren Keepern nicht mehr, seit Marwin Hitz 2018 zum BVB wechselte. Weder Andreas Luthe noch Fabian Giefer noch der heutige Ersatzmann Tomas Koubek überzeugten, und sie vermissten das Vertrauen. Selbst Gregor Kobel, heute einer der Besten beim VfB Stuttgart, hatte in seinem halben Jahr beim FCA Probleme. Herrlich, der in den letzten Wochen der vergangenen Saison auf Luthe setzte, ließ den Routinier im Sommer dennoch gerne in die Hauptstadt ziehen - lieber jedenfalls als Rani Khedira, der nach Vertragsende im kommenden Sommer wohl ebenfalls zu Union wechseln wird.

Gikiewicz empfindet Niederlagen als persönlichen Affront, das sieht und hört man

Im Tausch für Luthe bekam Herrlich im vergangenen Sommer schließlich Gikiewicz von den Berlinern. "Bei ihm passt das Gesamtpaket", antwortet Herrlich auf die Frage nach dessen spezifischen Stärken. "Er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus, hat klasse Reflexe auf der Linie, ist stark im Eins-gegen-eins, er pflückt viele Flanken herunter und ist auch fußballerisch gut." Er lobt auch Gikiewicz' "Einstellung zum Beruf" und seinen "Erfolgshunger".

Gikiewicz empfindet Niederlagen nämlich als persönlichen Affront. Das sieht und hört man auch aus großer Entfernung überdeutlich. Er schimpft dann laut vor sich hin, straft den einen Mitspieler mit demonstrativer Missachtung und macht den anderen gestenreich auf Unterlassungssünden aufmerksam. Kurzum, er verhält sich so, wie es sein Trainer sehen will: "Es ist wichtig, dass auch mal kritische Dinge angesprochen werden. Nur so kann man sich verbessern."

Dass Gikiewicz ein Besessener ist, der mit seinem demonstrativen Ehrgeiz auch bestens in die Zeiten von Harald Schumacher oder Uli Stein gepasst hätte, ist dabei selbst für seine Frau nicht zu übersehen. Die fand eines Wintermorgens am heimischen Kühlschrank acht Zettel vor, auf die Gikiewicz seine persönlichen Nahziele notiert hatte. Die meisten davon schaffte er dann auch schon in den Wochen darauf. Nur ein Zettel blieb bislang unerhört. Auf ihn hatte Gikiewicz die Nominierung für die polnische Nationalmannschaft vermerkt.

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