Süddeutsche Zeitung

England:Arsenal spielt so schlecht wie seit 1908 nicht mehr

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Von Sven Haist, London

Die Trophäe des englischen Pokal-Wettbewerbs hat sich für Arsène Wenger, der dieses Schmuckstück in seiner Karriere durch sieben Erfolge häufiger in den Händen hielt als jeder andere Trainer, zu einer Art Trostpreis entwickelt. In drei der vergangenen vier Spielzeiten rettete Wenger durch die Triumphe im FA-Cup eine ansonsten eher missratene Saison mit dem FC Arsenal. Denn welcher Vorwurf ließ sich schon aufrechterhalten, wenn man mit jener Auszeichnung aus Sterlingsilber kontern konnte, die zu den nobelsten Trophäen in der Fußballwelt überhaupt gehört? Bei der sportlichen Abrechnung in diesem Jahr muss Wenger allerdings auf den lieb gewonnenen Schutz vor seinen Kritikern verzichten: Arsenal schied am Sonntag vorzeitig aus dem Wettbewerb aus.

Um das 2:4 des Titelverteidigers beim einst so ruhmreichen Zweitligisten Nottingham Forest einmal ins Verhältnis zu setzen: Seit mehr als 21 Jahren arbeitet Wenger bei den Gunners, aber noch nie zuvor ist der Klub in der dritten Runde des FA-Cups, der Einstiegshöhe für die Vereine in der Premier League, hängen geblieben. In 39 Duellen mit unterklassigen Mannschaften verlor Arsenal nur das Aufeinandertreffen im Februar 2013 mit den Blackburn Rovers (0:1). Gerade bei dieser erfolgreichen Bilanz und dem eng getakteten Spielplan ist eine Peinlichkeit im Pokal eigentlich durchaus verzeihbar - nur eben: nicht gerade jetzt.

Nach drei Unentschieden in den jüngsten vier Spielen über Weihnachten und Neujahr hat sich Arsenal eine unangenehme Ausgangslage erspielt im ewigen Rennen um die Teilnahme an der Champions League. Der Rückstand auf Rang vier beträgt fünf Punkte, dem Verein droht ein erneutes Gastspiel in der unerwünschten Europa League. Lediglich der Ligapokal, die am wenigsten beachtete Trophäe auf der Insel, bietet eine realistische Chance auf einen Titel. Am Mittwoch treten die Gunners im Hinspiel des Halbfinals zunächst beim Stadtrivalen FC Chelsea an.

Empfindliche Niederlagen, wie sie bei Spitzenteams tunlichst vermieden werden sollten, werden bei Arsenal zunehmend zur Alltäglichkeit. Wie unangenehm Wenger das ist, verriet sein Leiden in der Direktorenbox. Die Assistenten, die um ihn herum saßen, hätten ihren Chef beruhigen können, dass die vier Gegentore - so viele kassierten die Gunners gegen ein ligatieferes Team zuletzt 1908 - nicht ganz so schlimm seien, wie sie ausgesehen haben. Stattdessen guckten sie genauso entsetzt aufs Spielfeld. "Wir waren nirgendwo gut genug, weder vorne, in der Mitte noch hinten. Einmal, zweimal, dreimal haben wir dieselben Fehler wiederholt und dafür letztlich den Preis bezahlt", sagte Wenger.

Bei der Aufarbeitung sah der Mann aus dem Elsass immerhin davon ab, den Schiedsrichtern erneut eine Mitschuld am Ergebnis zu geben. Beim zweiten von zwei tendenziell eher fragwürdigen Elfmetern schoss sich Nottinghams Kieran Dowell unerlaubterweise selbst an, bevor der Ball ins Tor ging. Die Doppelberührung hätte eigentlich einen indirekten Freistoß für Arsenal zur Folge haben müssen. "Ich werde nichts mehr zu den Unparteiischen sagen. Ich habe mich bereits so oft geäußert und nichts mehr zu ergänzen", sagte Wenger. Der englische Verband verbannte ihn vor ein paar Tagen für drei Spiele aus der Trainerzone, nachdem er mit harschen Bemerkungen gegenüber den Referees für Aufsehen gesorgt hatte. Dafür griff nun Kapitän Per Mertesacker, der das zwischenzeitliche 1:1 erzielt hatte, seine Mitspieler an: "Der Trainer hat einigen Profis eine Chance gegeben, aber ich denke, niemand hat seine Wahl gerechtfertigt. Es war für viele vielleicht ihre letzte Chance, sich noch einmal zu zeigen", sagte Mertesacker: "Nun gibt es nicht mehr so viele Spiele."

Nach neun Änderungen in der Startelf wusste Wenger natürlich, dass er für das Aus verantwortlich war. Jeder Stammkraft im Team, darunter Mesut Özil und Alexis Sanchez, verordnete er eine Pause - ganz anders als die meisten anderen Trainer der Liga. Das Vertrauen in die eigenen Profis kennt bei Wenger nahezu kein Ende, was für Wohlbefinden im Aufgebot sorgt, aber auch den Blick für die Realität verstellt. Das irritiert die Fans zunehmend. Schon Arsenals nominell beste Defensivreihe hat ja Schwierigkeiten, die Angriffe der Konkurrenten zu blockieren; viele schockierte daher Wengers Ankündigung, gegen Nottingham in der Abwehr mit der zweiten Garnitur antreten zu wollen. Sobald der offensive Zauber, den Arsenal weiterhin in sich trägt, nicht zur Entfaltung kommt, sehen die Spieler auf dem Platz ähnlich ratlos aus wie Wenger. Die Gestaltung des Kaders ist dabei zur Quelle geworden, aus der die Probleme entspringen. Das versuchen sie bei Arsenal nun endlich zu korrigieren.

Auf Drängen des Geschäftsführers Ivan Gazidis vollzieht sich seit Saisonbeginn ein personeller Wandel im Verein, wie ihn der Klub zuletzt bei der Installierung von Wenger im Oktober 1996 erlebt hatte. Die Verpflichtung diverser Spezialisten für unterschiedliche Abteilungen setzt Wenger, der sich mit Neuerungen gemeinhin schwer tut, unter Zugzwang. Die geholten Mitarbeiter, darunter der frühere Dortmunder Chefscout Sven Mislintat, kann er nach der Pokalniederlage in Nottingham kaum mehr übergehen, ohne nicht selbst hinterfragt zu werden.

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SZ vom 09.01.2018
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