Süddeutsche Zeitung

EM-Vergabe:Warum nicht an beide?

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Deutschland und die Türkei sollten die Fußball-EM 2024 zusammen ausrichten. Es wäre ein Zeichen der Verbundenheit, weil beide Länder eine gemeinsame Zukunft brauchen.

Kommentar von Heribert Prantl

Es ist ein großes Ringen zwischen Deutschland und der Türkei. Die Türkei möchte das Gastgeberland für die Fußball-EM 2024 sein. Deutschland auch. Es wird am Donnerstag einen Sieger geben und einen Verlierer. Das müsste nicht sein; die Konkurrenz müsste nicht sein. Man könnte sich im Doppel bewerben, man könnte das große Fußballfest gemeinsam ausrichten - in der Türkei und in Deutschland.

Es wäre dies ein wunderbares Zeichen des Miteinanders, ein Zeichen der Verbundenheit, ein Zeichen dafür, dass diese beiden Länder eng zusammen gehören, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben und eine gemeinsame Zukunft brauchen.

Vor 57 Jahren, im Herbst 1961, wurde das deutsch-türkische Anwerbeabkommen geschlossen. Dieser Tag ist ein ganz wichtiger Tag in der jüngeren deutschen und türkischen Geschichte. Dieser Tag hat die Geschichte von Hunderttausenden von Familien und Großfamilien verändert. Wer hätte damals gedacht, dass zwei Generationen später ein Bundespräsident und eine Bundeskanzlerin sagen werden, dass der Islam zu Deutschland gehört? Wer hätte damals gedacht, dass in wenigen Jahrzehnten in deutschen Klein-, Mittel- und Großstädten Moscheen stehen werden?

Eröffnungsspiel in Istanbul, Endspiel in Berlin - oder umgekehrt

Das Anwerbeabkommen von 1961 hat die Geschichte und das Gesicht Deutschlands, der Türkei und Europas verändert. Man kann es in seiner Bedeutung und seinen Folgewirkungen gar nicht überschätzen. Dieses Abkommen hat Geschichte und Geschichten geschrieben, Lebensgeschichte, Staatengeschichte.

Es leben Millionen Menschen in Deutschland, die zwei Heimaten haben - die Heimat Deutschland und die Heimat Türkei. Eine Fußball-EM, die beide Länder miteinander veranstalten, wäre eine wunderbare Verbindung dieser Heimaten: Eröffnungsspiel in Istanbul, Endspiel in Berlin - oder umgekehrt. Spiele in Ankara und Diyarbakır, Spiele in München und in Dortmund.

Das ist logistisch ohne weiteres möglich: Bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien lagen die Spielorte weiter auseinander. Und bei der Weltmeisterschaft 2026 liegen sie noch viel weiter auseinander - die Spiele werden in den USA, in Kanada und in Mexiko ausgetragen, sie finden also in zerstrittenen Ländern statt. Und bei der Fußball-Europameisterschaft von 2020 wird in zwölf europäischen Städten gespielt - von Baku bis Bilbao. Das Turnier ist, zum 60. Jubiläum des Turnieres, ein Symbol für das vereinte Europa. Die EM von 2024 hätte ein Symbol für das deutsch-türkische Miteinander werden können.

Die längste der drei Brücken, die den Bosporus bei Istanbul überspannen, ist die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke. 2013 wurde der Grundstein gelegt, 2016 wurde die Brücke für den Verkehr freigegeben. Sie ist ein Symbol für die moderne Türkei - 2164 Meter lang. Der türkische Präsident Erdoğan liebt solche Symbole. Die Entfernung zwischen dem Istanbuler und dem Berliner Olympiastadion beträgt nur unwesentlich mehr als 2164 Kilometer. Eine gemeinsame EM wäre ein wunderbarer Brückenschlag. Eine Fußball-Europameisterschaft, die in der Türkei und in Deutschland ausgetragen wird, wäre die längste Brücke der Welt.

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