Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf bei Olympia:"Ich habe vier Jahre trainiert und mache so eine Dummheit"

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Von Barbara Klimke, Pyeongchang

Bruno Massot nahm an der Bande noch einmal die Hand von Trainer Alexander König, bevor er den Griff löste und sich zu seiner Partnerin aufs Eis begab. Aufmunterung, Zuspruch vermittelte die Geste: Es sind die ersten Olympischen Spiele für Massot, 29, an der Seite einer Läuferin, die bereits fünfmal Weltmeisterin war; die erfolgreicher ist als jede andere deutsche Eiskunstläuferin; die schon alles gewonnen hat, nur kein Olympiagold. Diesmal, mit neuem Partner, im fünften Anlauf, wollte Aljona Savchenko ihren Lebenstraum Wirklichkeit werden lassen. Ein Blick noch zurück, dann begann die Musik.

Als die letzten Töne verklungen waren, schaffte es Massot kaum noch, die Hand zum Winken zu heben. Er ließ den Kopf sinken, unendliche Traurigkeit im Blick. Platz vier belegten die Paarläufer Aljona Savchenko/Bruno Massot nach dem Kurzprogramm, das ahnten beide in der Tränenecke, noch bevor die Wertung aufblinkte. Und Massot wusste, dass das allein sein Fehler war. Er war den Dreifach-Salchow nur zweifach gesprungen, was Alexander König an den Bande den Kopf schütteln ließ. "Das wären gut vier Punkte mehr gewesen", seufzte König später, ebenso geknickt, in der Mixed Zone und beschloss dann, trotz des Missgeschicks, Mut zu spenden: "Morgen heißt das Stichwort Attacke. Was willst du nach so etwas noch rumlabern?"

Sechs Punkte hinter dem chinesischen Weltmeisterpaar

Gute Frage. Für einen derart eklatanten Faux Pas gibt es bei Olympia nur im glücklichsten Fall Wiedergutmachung, denn vor der Kür am Donnerstag (2 Uhr, Eurosport) liegen Savchenko/Massot mit 76,59 Punkten nunmehr sechs Punkte hinter dem chinesischen Weltmeisterpaar Sui Wenjing/Han Cong (82,39) zurück, und dazwischen haben sich noch die russischen Europameister Jewgenia Tarasowa/Vladimir Morozow und das kanadische Duo Meagan Duhamel/Eric Radford geschoben. "Der Fehler ist passiert, die Enttäuschung ist da. Morgen ist ein anderer Tag", erklärte Savchenko mit fester Stimme, und es war ihr anzusehen, dass sie all ihre Entschlossenheit in diesem Satz bündelte: "Der Wettkampf ist noch nicht zu Ende."

Von nun an aber ist das Duo, das in diesem Winter das weltbeste Programm präsentierte, das sich im Dezember in Nagoya beim Grand-Prix-Finale mit einem triumphalen Auftritt und neuem Punkteweltrekord über alle andere hob, nicht mehr der Favorit auf den Olympiasieg. Sie präsentieren die anmutigsten und witzigsten Programme mit dem Zwanzigerjahre-Lindy-Hop im Kurzprogramm und einer artistischen Kür, in der die Kategorien von Eistanz und Paarlauf verschwimmen. Aber es war schon bei der Abreise nach Südkorea klar, dass angesichts der hochklassigen Konkurrenz ein winziges Missgeschick den Ausschlag geben kann: ein verunglückter Wurf, eine wackelige Hebung, ein nicht-synchrone Pirouette, ein Sprung. "Die Elemente sind alle so schwierig", sagte König, "dass überall ein Fehler passieren kann."

Nach dem Wettkampf versuchte Massot, Verzweiflung im Gesicht, das Unverständliche begreiflich zu machen. Er hatte die rote Trainingsjacke mit der Aufschrift "Germany" über das Kostüm gezogen, den Kragen geöffnet, die rote Fliege hing um den Hals. "Ich weiß nicht, was passiert ist. Das Training war gut, der Rücken war gut. Es ist lächerlich: Ich habe vier Jahre trainiert und mache so eine Dummheit." Für den Traum von Olympia an der Seite Savchenkos, der besten Paarläuferin, hat der in Frankreich geborene Eisartist seine Freunde, seinen Lebensmittelpunkt verlassen, er war von Caen nach Oberstdorf gezogen und hat für den Olympiastart die erforderliche deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. "Wir sind hier für Gold. Für nichts anderes", sagte er. Und ohne Savchenko anzublicken: "Ich will nicht, dass sie mit Bronze nach Hause kommt."

Eine Drehung zu wenig beim Salchow, war es "Fracksausen", wie der Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union, Udo Dönsdorff, vermutete? Auch König hat dafür am Mittwoch keine Erklärung. Massot tupfe den Sprung, bei dem er dreimal um die eigene Achse spindelt, normalweise problemlos aufs Eis. "Wenn ich mir seine Serie angucke, steht es, glaube ich 50:1 für den gelungenen Salchow", sagte er: "Den Dreifachen zum Zweifachen zu machen, ist die Höchststrafe." Es klang nicht anklagend, König ist selbst Paarläufer gewesen. Sondern nach Mitleid.

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