Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei der Eishockey-WM:Ziemlich nah an der Idealvorstellung

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Schnitzler, Kosice

Man muss Morten Green als Fachmann ernst nehmen, unbedingt. Der Mann versteht was von Eishockey. Der Rekordnationalspieler Dänemarks arbeitet bei der Weltmeisterschaft in Kosice als Experte fürs dänische Fernsehen. Im Normalfall seien die ersten drei Plätze in Gruppe A, in der Dänemark und Deutschland spielen, an Kanada, die USA und Finnland vergeben, sagte Green; um den vierten Platz fürs Viertelfinale würden sich Gastgeber Slowakei, Dänemark und Deutschland rangeln. Am ehesten, meinte Experte Green, seien wohl die Finnen schlagbar.

Green gab diese Einschätzung am Tag vor dem Turnierbeginn ab. Einen Tag, bevor die Finnen die Kanadier 3:1 schlugen und danach die Slowaken, die Briten und die Dänen; noch ehe in dem 18 Jahre alten Stürmer Kaapo Kakko ein neuer Stern am Eishockey-Himmel aufging. Nur gegen die USA gaben sie zwei Punkte ab. Dem deutschen Team mit seinem finnischen Trainer Toni Söderholm begegneten sie am Dienstag als Tabellenführer.

Aber "die Mannschaft hat daran geglaubt, dass sie Finnland schlagen kann", sagte der Bundestrainer. Und sie schlugen Finnland, 4:2 (1:1, 1:1, 2:0). Es war der fünfte Sieg im siebten Spiel für das DEB-Team, das zuletzt 1983 bei einer WM so oft gewonnen hat - in einer Vorrunde aber noch nie. Und es war, wie Söderholm betonte, "ein verdienter Sieg". Das Abwehrverhalten seiner Mannschaft sei seiner Vorstellung von guter Organisation "ziemlich nah" gekommen. Beste Grüße an Morten Green.

Beide Teams waren schon vor der Partie fürs Viertelfinale qualifiziert. Und Söderholm hatte seine Reihen für dieses letzte Gruppenspiel vor dem Umzug nach Bratislava noch einmal neu modelliert. Erstmals seit seinem Kurzeinsatz gegen Frankreich stand NHL-Profi Philipp Grubauer (Colorado Avalanche) zwischen den Pfosten. Der 27-Jährige hatte zuvor drei Spiele aussetzen müssen. Verteidiger Moritz Seider, 18, pausierte weiterhin. Bei dem Verteidiger wollten die Trainer nach dessen Kopfverletzung aus dem Spiel gegen die Slowakei kein Risiko eingehen.

In der Mannschaft hatte es nach dem 1:8 gegen Kanada, das nicht nur NHL-Stürmer Dominik Kahun als "furchtbar" und "nicht akzeptabel" empfand, ein leichtes Grummeln gegeben über die Arbeit im Verbund und die richtige Einstellung zum Backcheck. Als lobendes Beispiel für die Einheit auf dem Eis hatte Söderholm explizit die Finnen genannt. Gegen die USA (1:3) sahen dann alle die bis dahin beste deutsche Defensivleistung bei diesem Turnier. Bis zum Dienstag. "Wir haben über alle Reihen den Job gemacht, den man machen muss, um diese giftigen, sehr, sehr talentierten Finnen zu schlagen", sagte Doppeltorschütze Leon Draisaitl, der die interne Scorerwertung mit fünf Toren und drei Vorlagen anführt.

Die ersten Minuten gehörten noch den Finnen. Gegen Marko Anttila zeigte Grubauer, dass er seine muskulären Probleme überwunden hat, gegen Henri Jokiharju half ihm die Latte. "Ich fühle mich gut", sagte Grubauer, der zum Man of the Match gewählt wurde, nachher. Die Deutschen versuchten in der Rückwärtsbewegung die Neutrale Zone eng zu halten. Dank ihrer läuferischen Klasse spielten sich die Finnen zwar immer wieder im deutschen Drittel fest, ohne allerdings zwingend zu werden.

Die beste Chance vergab Harri Pesonen. Die zweite Strafe für die Deutschen war dann eine zu viel: Pesonen (16.) fälschte einen Schlagschuss von Mikko Lehtonen zum 0:1 (16.) ab. Doch die Deutschen antworteten nur zwei Minuten später. Eine traumhafte Kombination über Markus Eisenschmid und Matthias Plachta veredelte Marc Michaelis (18.) zum 1:1 nach 20 Minuten. Für Eisenschmid war es der siebte Scorerpunkt.

Vom zweiten Drittel an gelang es den Deutschen immer besser, die Finnen in deren Zone zu beschäftigen. Dann aber zog Niko Ojamaki vom linken Flügel vors Tor, Grubauer parierte, die Abwehr bekam den Abpraller nicht unter Kontrolle und Juhani Tyrväinen staubte ab (25.).

Trotz des Rückstands waren die Deutschen zur Mitte des Spiels mit von der Partie. "Es ist viel Selbstvertrauen in dieser Mannschaft", sagte Söderholm später. Kahun scheiterte zunächst noch knapp an Kevin Lankinen, dann schaufelte er die Scheibe mit der Rückhand zum 2:2 (34.) ins linke Eck. Die Vorlage kam von Draisaitl, der das Spiel dirigierte und wie das gesamte Team engagiert um jeden Puck kämpfte.

Ende des zweiten Drittels führten die Finnen nach Torschüssen 26:10. Aber die Führung im Spiel ging an Deutschland. Draisaitl bugsierte im Powerplay eine Vorlage von Leo Pföderl an Lankinen vorbei zum 3:2 (45.) ins Netz. Als Grubauer spektakulär gegen Ojamaki (50.) rettete, sangen die deutschen Fans: "Ist das alles, was ihr könnt?" Tatsächlich kam von den Finnen nicht mehr viel, was Söderholm hätte beunruhigen müssen. Als Trainer Jukka Jalonen seinen Torhüter für einen sechsten Feldspieler opferte, trug Draisaitl die Scheibe zum 4:2 (60.) ins leere Tor. "Wir haben alle an einem Strang gezogen", sagte er. Die deutsche Auswahl geht nun mit dem erhofften Erfolgserlebnis ins Viertelfinale gegen Tschechien. Und mit dem guten Gefühl, dass sie als Einheit funktioniert.

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SZ vom 22.05.2019
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