Süddeutsche Zeitung

Eishockey-Torhüter Philipp Grubauer:Der unglaubliche Grubini

Lesezeit: 3 min

"Der lacht sich kaputt": Torwart Philipp Grubauer führt die deutsche Mannschaft mit 28 Zaubertricks gegen den Olympia-Dritten Slowakei zum ersten WM-Sieg. Nächste Vorstellung: am Montag gegen Frankreich.

Von Johannes Schnitzler, Helsinki

Die Mixed Zone, jener Bereich, in dem sich Sportler und Journalisten nach Spielen austauschen können, ist in der Helsingin Jäähalli, der Eishalle des örtlichen Klubs IFK, etwa 25 Meter lang. Vorne stehen die TV-Teams, dann die Hörfunk-Reporter, am Ende des Korridors die Printleute, alles dicht an dicht. Ein großes Palaver von vorne bis hinten. Die meist gebrauchte Vokabel in diesem Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch, Finnisch und Slowakisch war am Samstagabend aber eindeutig: unglaublich.

"Grubi war unglaublich", sagte NHL-Verteidiger Moritz Seider; "er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus, die der Mannschaft sehr hilft", ergänzte Stürmer Matthias Plachta, einer der beiden Torschützen zum 2:1 (0:0, 2:1, 0:0) gegen den Olympia-Dritten Slowakei, dem ersten Sieg für die deutsche Nationalmannschaft bei dieser Eishockey-Weltmeisterschaft in Finnland. "Das gibt uns einen Selbstvertrauens-Boost", sagte Kapitän Moritz Müller. "Aber die Punkte heute sind nur was wert, wenn wir morgen auch was holen." Nächster Gegner sind am Montag (19.20 Uhr) die Franzosen. "Die muss man erst mal schlagen."

Seider und Plachta waren nicht die einzigen, die von Philipp Grubauer - "Grubi" - schwärmten, als wäre er ein Zauberer in einer Las-Vegas-Show: The Incredible Grubini. Leo Pföderl, der andere deutsche Torschütze in diesem Thriller, stellte eine rhetorische Gegenfrage: "Was sollst du da noch sagen?" Dann aber sagte er (und wenn ein Oberbayer aus Bad Tölz über einen Oberbayern aus Rosenheim spricht, wird es schon mal kernig): "Da kommen Schüsse aufs Tor, und du denkst dir: ,Leck mich am Arsch' - und der lacht sich kaputt." Unglaublich.

Der Boulevard erhob Grubauer, im Brotberuf Schlussmann beim NHL-Klub Seattle Kraken, nach seiner Glanzleistung naheliegend zum "Kraken von Helsinki". Zwischendurch wirkte es ja wirklich, als habe der 30-Jährige acht Fangarme und nicht nur eine Fanghand, in der er 28 der 29 slowakischen Schüsse auf sein Tor verschwinden ließ wie Spielkarten in seiner Hosentasche. "Philipp war einer der ausschlaggebenden Spieler heute", sagte Bundestrainer Toni Söderholm, "er war sehr, sehr stark." Auch Craig Ramsay, 71, kanadisches Trainer-Denkmal an der Bande der Slowaken, rühmte Grubauer: "He made some incredible saves" - unglaubliche Paraden habe der Deutsche gezeigt.

Dabei hat Grubauer keine so einfache Saison in Seattle hinter sich. Und die Sache mit der Las-Vegas-Show ist nicht einmal so weit hergeholt.

Nach seinem NHL-Debüt in der Saison 2012/13 für die Washington Capitals musste Grubauer lange den Part als Back-up für Braden Holtby akzeptieren. Als 2017 die Vegas Golden Knights als neue Franchise an den Start gingen, hoffte Grubauer auf eine Planstelle in der Spielerstadt. Doch die Knights entschieden sich für Marc-André Fleury, zogen prompt ins Finale ein - und trafen auf Grubauers Capitals. Der Gewinn des Stanley Cups war kein schlechter Trost für viele Stunden auf der Bank. In den Playoffs aber spielte Grubauer nur zwei Mal. Danach wechselte er nach Colorado. Bis vor dieser Saison in Seattle wieder ein neues Team zusammengestellt wurde und die Kraken Grubauer als ihre Nummer eins auswählten. In einer Pandemie-Saison aus 30 Profis ein Team zu formen, ist aber noch komplizierter als unter Normalbedingungen. Die Kraken verpassten die Playoffs, Grubauers herausragende Karrierewerte - 91,4 Prozent gehaltene Schüsse, 2,51 Gegentore pro Partie - sanken auf 88,9 respektive 3,16. Auch deshalb sagte er frühzeitig für die WM zu: "Es macht immer Spaß und ist eine Ehre, für Deutschland zu spielen. Falls Toni mich ruft, bin ich dabei."

Söderholm rief. Und legte sich früh fest, dass Grubauer die beiden ersten Partien gegen Kanada (3:5) und die Slowakei zwischen den Pfosten stehen würde. Mit seiner Erfahrung und Athletik ist Grubauer prädestiniert für Spiele gegen physisch starke Gegner wie die Slowaken, die auch schon mal den Torwart in dessen Hoheitsgebiet attackieren. "Wenn die mich pushen, pushe ich zurück, wenn es einen Stockschlag auf die Fanghand gibt, dann gibt es einen Stockschlag zurück, da scheiß i mir nix", sagte Grubauer mit einem Grinsen auf gut Bairisch. Schwieriger waren für ihn die Bedingungen in der Halle. Es war warm, das Eis weich, das macht das "Sliden", das Hin-und-her-Gleiten zwischen den Pfosten mit 20 Kilo Schutzausrüstung, zusätzlich anstrengend für einen 1,85 Meter großen und 85 Kilo schweren Torhüter. Beim Anschlusstreffer der Slowaken von Kristian Pospisil kam Grubauer zu spät, das dritte Drittel wurde zu einer Nervenprobe. "Ich hatte gehofft, dass uns das 2:0 Halt gibt", sagte Torschütze Pföderl, "leider hat es uns nervös gemacht". Aber sie hatten ja Grubauer, den "Man of the Match", der die individuelle Auszeichnung aber sogleich unter die Rubrik "Teamleistung" einsortierte: "Ohne meine Vorderleute hätte das nicht so ausgesehen, wie es ausgesehen hat. Wir waren in der eigenen Zone heute besser als gegen Kanada, haben mehr Schüsse geblockt." Für den kämpferischen Einsatz seiner Teamkollegen sei nur ein Wort angemessen: "unglaublich."

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