Süddeutsche Zeitung

Eishockey:Stürmer im Verteidigerpelz

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Maurice Edwards ist der offensivstärkste Defensivspieler der DEL. Beim ERC Ingolstadt steht er so häufig auf dem Eis wie kein anderer.

Von Christian Bernhard

Die Aktion war so, wie Eishockey-Stürmer sie sich vorstellen. Ein Haken auf engem Raum, der den verteidigenden Gegenspieler ins Leere laufen lässt, ein paar Schritte Richtung Tor und ein Abschluss, den Torhüter besonders fürchten: Etwas zu hoch für die Schoner, etwas zu tief für die Fanghand; dorthin, wo jeder Torwart Probleme hat.

Maurice Edwards konnte mehr als zufrieden sein, als ihm das genau so am Mittwochabend gelang. Erstens, weil es ein Tor für den ERC Ingolstadt zur Folge hatte, und zweitens: weil es das entscheidende im Derby gegen die Augsburger Panther war. Edwards sehenswerter Treffer fiel in der zweiten Minuten der Verlängerung, er war die Krönung einer beeindruckenden Ingolstädter Aufholjagd: 0:3 lagen die Oberbayern im Augsburger Curt-Frenzel-Stadion bereits zurück, ehe sie noch 4:3 gewannen - dank Edwards' Einzelaktion. Sein Teamkollege Fabio Wagner sprach von einem "brutalen" Tor, ERC-Trainer Doug Shedden sagte, die ganze Aktion sei "unübersehbar großartig" gewesen. Dadurch gewann der ERC auch das dritte Derby der Saison gegen Augsburg mit nur einem Tor Unterschied.

Nur zehn Spieler überhaupt waren in der laufenden Saison erfolgreicher als Edwards

Dieses Tor war nicht Edwards' einziges des Abends, auch das 2:3 in Minute 46 hatte er geschossen. Damit hat er nun bereits zehn Saisontreffer auf seinem Konto. Ein starker Wert nach 28 Saisonspielen in der Deutschen Eishockey Liga (DEL), in Edwards' Fall sogar ein herausragender: Der 32-jährige Kanadier ist kein Stürmer, sondern Verteidiger. Und zwar ein besonderer: Er ist wieder einmal der offensivstärkste der Liga. 25 Scorerpunkte hat er bereits gesammelt, nur zehn Spieler überhaupt waren in der laufenden Saison erfolgreicher. Alleine in den letzten vier Spielen hat er fünf Tore erzielt und zwei vorbereitet.

Prägende DEL-Stürmer wie Straubings Jeremy Williams oder Münchens Chris Bourque haben weniger Punkte auf ihrem Konto als Edwards, der bereits die letztjährige DEL-Hauptrunde als punktbester Verteidiger abgeschlossen hatte. Damals lobte ihn ERC-Torhüter Jochen Reimer überschwänglich: "Ich kann über Maury nicht genug Gutes sagen. Er ist einer der unterschätztesten Spieler der Liga und für mich der beste DEL-Verteidiger."

Um in solche Sphären zu gelangen, muss man als Verteidiger mehr mitbringen als nur Offensivstärke. Edwards tut das. Siebeneinhalb Minuten vor Schluss, als die Augsburger noch 3:2 führten, bot sich ihnen in einem vierminütigen Überzahlspiel die große Chance, alles klar zu machen. Das Panther-Powerplay ist in der Liga gefürchtet, doch die Ingolstädter machten es in dieser Schlüsselphase beeindruckend zunichte. "Ich dachte, Ingolstadt sei in Überzahl, weil sie mehr in unserer Zone waren, als wir in deren", sagte Augsburgs Trainer Tray Tuomie. Ein Turm in der ERC-Unterzahl: Maury Edwards. Er half tatkräftig mit, dass die Ingolstädter diese brenzlige Situation überstanden und 42 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit durch Mike Collins ausglichen. Edwards stand auch da auf dem Eis - und legte Collins die Scheibe auf.

Larry Mitchell weiß, was er an Edwards hat. "Er erledigt die Defensivarbeit zuverlässig und trägt entscheidend zu unserer Offensive bei, sei es im Aufbau oder auch im Abschluss", sagt der ERC-Sportdirektor. Mitchell kennt Edwards so gut wie kaum ein anderer in Deutschland, er hat ihn seit 2013 in seinem Scouting-Block stehen. 2015 lotste er ihn nach Straubing und trainierte ihn dort auch. Nach drei Spielzeiten in Niederbayern überzeugte Mitchell, der mittlerweile ERC-Sportdirektor geworden war, den Verteidiger im Jahr 2018 davon, ihm nach Ingolstadt zu folgen.

Dort ist Edwards mittlerweile der dominierende Abwehrspieler. Mehr als 23 Minuten Eiszeit pro Spiel bekommt der Kanadier von Shedden, kein Ingolstädter steht so häufig auf dem Eis. In Augsburg waren es sogar knapp 29 Minuten, ein außergewöhnlicher Wert. Klar, dass Mitchell lieber heute als morgen Edwards' am Saisonende auslaufenden Vertrag verlängern würde. "Wir arbeiten daran", sagte der Verteidiger kürzlich dem Donaukurier.

Edwards, der nach Spielschluss vor dem Ingolstädter Fanblock die Welle initiierte, und Co. sind momentan nur schwer kleinzukriegen: Die Partie in Augsburg war die dritte in Serie, in welcher der fünftplatzierte EHC spät einen Rückstand aufholte und sich so die Chance gab, in der Verlängerung oder dem Penaltyschießen noch zu gewinnen. "Wir haben uns nicht hängen gelassen und immer weiter gemacht", sagte Wagner, der das 1:3 erzielt hatte (38.). Der Verteidiger hat jetzt auch schon drei Saisontore, und damit so viele wie in seinen zwei vorangegangenen Hauptrunden zusammen, erzielt - Edwards' Offensivstärke scheint ansteckend zu sein.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2019
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