Süddeutsche Zeitung

Dopingfall Pechstein:Schrille Welten, sachliche Welt

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Eisschnellläuferin Claudia Pechstein darf laut Gerichtsbeschluss in Salt Lake City starten. Der Dopingbefund des Cas bleibt dennoch bestehen.

Volker Kreisl

Die Olympiasiegerin Claudia Pechstein ist berufsmäßig in zwei schrillen, schnellen Welten unterwegs. Im Sport geht es ums Siegen, und wenn's klappt, sind Zweifel aller Art meist schlagartig vom Tisch. In der Medienwelt wird dieser Mechanismus verstärkt, und deshalb steht auch heute, nach der Eilentscheidung des Schweizer Bundesgerichts, nur ein Aspekt vom großen Ganzen in den Schlagzeilen: Pechstein darf wieder starten.

Hat man noch in den Ohren, wie die Pechstein-Partei in diesem Doping-Indizienprozess agiert hatte, wie offensiv sie fragwürdige Details vor die Medien trug und am Ende, als die Hoffnung schwand, den Richtern Willkür unterstellte, dann klingt das nun wie ein Sieg: Sie darf starten. Ist also alles neu? War Claudia Pechstein doch ein Opfer der Sportjustiz? Und gibt es im Kampf gegen das substantiell meist nicht mehr nachweisbare Doping nun doch keinen Indizienbeweis?

Wie bei allen Schiedsgerichtsprozessen muss es gegen mögliche Willkürakte noch ein Rechtsmittel geben, und es ist Pechsteins Recht, davon Gebrauch zu machen. Der Prozess wird also weitergehen; qualifiziert sich Pechstein, so wird sie wohl auch in Vancouver starten, weil mit der Hauptsache-Entscheidung erst Monate später zu rechnen ist.

Sie würde in Vancouver wieder als Athletin im Blickpunkt stehen, möglicherweise als siegende Athletin. Der Eindruck, dass Pechstein nicht nur die Richter, sondern vor allem die Öffentlichkeit auf ihre Seite ziehen will, besteht seit Monaten. Nichts ist für die Überzeugungsarbeit beim Fan wertvoller als Medaillenglanz, weshalb auch die griechische Sprinterin Ekaterini Thanou im Nachhinein gerade um eine kämpft.

Jenseits dieser schnellen Branchen steht aber die ziemlich sachliche Welt der Juristen. Darin wird unterschieden: Das Schweizer Bundesgericht als letzte Instanz prüft ausschließlich auf schwere Verfahrensfehler, es würdigt keine neuen Beweise. Sollte der Berlinerin trotz der langen Bedenkzeit des Cas Willkür widerfahren sein, so muss dieser neu prüfen, nur er wird alle Beweise neu bewerten und sie gegebenenfalls freisprechen.

Unbenommen davon bleibt aber der Kern des Urteils bestehen: Die höchstrichterliche Entscheidung, dass allein aufgrund von Indizien wie Retikulozyten auf Doping befunden werden kann, wenn die Hinweise nur stark genug sind.

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SZ vom 09.12.2009
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