Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:"Die Bayern haben halt Stil und Niveau"

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Der Traditionsklub Viktoria Köln hat "brutale" Zeiten hinter sich. Nun will er das Pokalspiel gegen Bayern nutzen, um sich im Profigeschäft zu etablieren - und lobt eine Hilfestellung des Gegners.

Von Philipp Selldorf, Köln

Wo der Balkan beginnt, darüber gibt es in der volkstümlichen Auffassung der Deutschen verschiedene Ansichten. Mancher westlich geprägte Landsmann meint, er gehe dort los, wo die ersten Kirchen mit Zwiebeltürmen stehen; für nicht wenige Kölner hingegen beginnt der Balkan - Synonym eines anderen, exotischen Europas - schon auf der anderen Rheinseite. Der Stadtteil Höhenberg, Heimat des FC Viktoria Köln, ist demnach für sie tief in fremdem Territorium gelegen, eine Einordnung, die Franz Wunderlich als "altes Brauchtum" bezeichnet - und inhaltlich zurückweist. "Am Ende", sagt der Sportvorstand der Viktoria, "sind wir doch alle Kölner."

Trotz des Bemühens um die Einheit der Stadt will der 58 Jahre alte Vereinsfunktionär und Unternehmer die Unterschiede nicht unterschlagen. "Linksrheinisch ist es etwas gehobener, rechtsrheinisch ist das Arbeitsvolk", fasst sie Wunderlich zusammen. Wenn es um Fußball geht, verlieren sich die Grenzen allerdings im Flusswasser. "Mein Verein rechts vom Rhein" lautet zwar einer der Slogans des 1904 gegründeten Traditionsklubs, doch der Umzug aus dem Höhenberger Sportpark in das Müngersdorfer Stadion anlässlich des Pokalspiels gegen den FC Bayern ist für die Viktoria kein schwerer Gang.

Anfangs hatte man tatsächlich überlegt, auf eigenem Grund und Boden zu bleiben, aber das wäre kein guter Beschluss gewesen: Die Karten sind seit Wochen ausverkauft, 50 000 Zuschauer werden im Stadion sein, der Drittligist macht Kasse. Zumal da sich der FC Bayern bei der Aufteilung der Einnahmen ausgesprochen großzügig verhalten soll. "Überragend" seien die Hilfestellungen der Gäste aus München, lobte der Geschäftsführer Eric Bock.

"Die Bayern haben halt Stil und Niveau", kommentiert dies Franz Wunderlich und legt damit ein Bekenntnis ab: Er sei schon lange Zeit Bayern-Fan, erklärt er. Ausgangspunkt der Bekehrung war der Tod seines damals besten Freundes Maurice Banach. Nach dessen Unfall an einem nassen Novembersonntag im Jahr 1991 sei Uli Hoeneß einer der Ersten gewesen, die der Witwe kondoliert hätten, erzählt Wunderlich. "Ein Mann, ein Wort", das schätzt der Kölner Fußballmanager an seinem einstigen Münchner Kollegen - nicht zuletzt, weil sie mit dieser Lebensart etwas gemeinsam haben.

Als der hoffnungsvolle Torjäger Banach zu Tode kam, gehörte Wunderlich zum erweiterten Spielerkader des 1. FC Köln. Sein Debüt in der Bundesliga hatte er in der Saison zuvor unter dem Trainer Erich Rutemöller gegeben: In einem Spiel gegen den FC Bayern, das der FC 4:0 gewann, wurde er für den Torschützen Olaf Janßen eingewechselt, und jener Olaf Janßen ist jetzt der Trainer der Viktoria, während Rutemöller am Mittwochabend garantiert beim Spiel vorbeikommen wird, er wohnt ja quasi um die Ecke.

Auch solche Stammbaumgeschichten haben dazu beigetragen, dass Wunderlich, so darf man das sagen, dem Fußball verfallen ist, "infiziert" nennt er es mit einem Seufzen. Nach der Karriere als Spieler in der Oberliga-Mannschaft des FC betätigte er sich als Trainer und Manager zweier Kölner Amateurklubs, seit elf Jahren gehört er der Führung der Viktoria an, zuerst als Sportlicher Leiter, dann als Vorstand. Außerdem führt er noch sein 1986 gegründetes Gebäudereinigungsunternehmen mit 300 Mitarbeitern. Und obwohl die Viktoria dank des (zuvor beim FC aktiven) Gönners Franz-Josef Wernze finanziell immer gut ausgestattet war, hat Wunderlich nicht selten gelitten an seiner Aufgabe und seiner Leidenschaft.

Der großzügige Sponsor habe dem Klub "alles ermöglicht", doch eben deshalb hatte Wunderlich immer das Gefühl, "die Pistole am Kopf zu haben, und dann gibt's kein halblang, dann gibt's nur Vollgas". Nicht weil Wernze ihm so zusetzte, sondern weil er sich zum Erfolg verpflichtet sah. Dennoch blieben die Versuche der Viktoria, aus der Regionalliga West zu entkommen, jahrelang vergeblich.

Am Kampf um den Drittliga-Aufstieg sei seine Ehe gescheitert, sagt Wunderlich

Der Kampf um den Aufstieg in die dritte Liga vor drei Jahren sei "die intensivste und brutalste Zeit" seines Fußballlebens gewesen, sagt Wunderlich. Am Ende sei daran seine Ehe gescheitert, dem Druck und den Emotionen habe sie nicht standhalten können. Das entscheidende Tor im entscheidenden Spiel erzielte passenderweise Sohn Mike, der inzwischen dem 1. FC Kaiserslautern angehört.

Die Einnahmen aus dem Bayern-Spiel helfen dem Verein nun, sich aus der langjährigen Abhängigkeit vom Sponsor zu lösen. Da sich Wernze allmählich zurückzieht, muss sich Viktoria in der wirtschaftlich schwierigen dritten Liga aus eigener Kraft behaupten. "Wir sind seriös aufgestellt und werden immer einen Euro mehr in der Kasse halten als rausgeht", sagt Wunderlich. Im Laufe der vergangenen Jahre hat der Klub seine Jugendarbeit erfolgreich ausgebaut, ein gutes Drittel des Profikaders ist im eigenen Nachwuchs aufgezogen geworden. Angeführt wird die junge Mannschaft vom Kapitän Marcel Risse, 32, der mit dem 1. FC Köln schon einige Male den Bayern begegnet ist.

Es geht um viel am Mittwochabend, aber diesmal muss Franz Wunderlich nicht am Erfolgsdruck leiden. Was soll der Elf eines Drittligaklubs schon passieren gegen eine der besten Mannschaften auf dem Globus? "Ich hab' den Jungs und dem Trainer gesagt: Macht euch nicht in die Hose - genießt es!", erzählt der Sportvorstand. Und doch haben die Spieler ihre eigenen Vorstellungen vom Genießen. Wie der Pokalabend enden soll? "Am besten, indem wir mit einem Bierchen auf den Sieg anstoßen", hofft Mittelfeldspieler Patrick Sontheimer.

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