Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Unterhaching: Wo Vizekusen entstand

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Von Christoph Leischwitz, Unterhaching

Bei der bislang letzten Demütigung aus Unterhachinger Produktion handelte es sich um einen Schneeball im Gesicht von Carsten Ramelow. Im Februar 2003 hatte die SpVgg Unterhaching schon einmal Bayer Leverkusen in ihrem kleinen Sportpark zum DFB-Pokalspiel empfangen: Der Favorit gewann zwar beim damaligen Drittligisten - allerdings sehr knapp. Hachings Darlington Omodiagbe verschoss im Anschluss an ein 2:2 nach Verlängerung als Einziger seinen Elfmeter. Danach rief Ramelow den Unterhachinger Fans ein süffisantes "Tschüss" zu. Dann flog der Schneeball. Sollte Ramelow ob des Sieges so etwas wie Genugtuung verspürt haben - er konnte sie auf dem Weg in die Kabine nicht recht auskosten.

Vor allem ist Unterhaching allerdings der Ort des großen Leverkusener Vereinstraumas. Am 34. Spieltag der Saison 1999/2000 benötigte die Mannschaft von Christoph Daum nur noch einen Punkt, um Meister zu werden, Aufsteiger Unterhaching hatte bereits den Klassenerhalt sicher. Doch dann schoss Michael Ballack ein Eigentor, das Spiel endete 2:0, gleichzeitig gewann Bayern München 17 Kilometer entfernt gegen Werder Bremen 3:1 und fing Leverkusen noch ab. Carsten Ramelow war damals auch schon mit dabei, wenn auch nur als Ersatzspieler.

Das Bild von Leverkusen als ewigem Zweiten ("Vizekusen") wurde in dieser Partie ebenso geprägt wie das Image des kleinen gallischen Dorfes am Münchner Stadtrand. Wohl in Anlehnung an den Comic-Häuptling Majestix ist vor dem neuerlichen Pokal-Aufeinandertreffen am Dienstagabend (19 Uhr) auch der Kommentar eines Leverkusen-Anhängers in einem Fanforum zu verstehen: "Unterhaching? Ich kenne kein Unterhaching."

Präsident in der Kritik

15 Jahre sind vergangen, das Duell mit dem Angstgegner findet unter völlig anderen Bedingungen statt. Denn die SpVgg ist seit diesem Sommer Viertligist und damit Amateurklub, selbst in der Geschäftsstelle findet sich kein Mitarbeiter mehr, der damals dabei war. Doch der ruhmreiche Sieg holt die heutigen Verantwortlichen jetzt wieder ein, und sie zehren davon. "Ich habe mir ja eigentlich Bayern oder Sechzig gewünscht. Aber mit der Aufmerksamkeit, die uns jetzt zuteil wird, ist Leverkusen ein absolutes Traumlos", sagt Präsident Manfred Schwabl.

Schwabl hat es momentan nicht leicht. Zwar steht seine Mannschaft in der Regionalliga Bayern ganz gut da, und die Pokal-Überraschungen gegen den FC Ingolstadt (2:1) und RB Leipzig (3:0) haben unverhoffte Mehreinnahmen eingebracht. Schwabl ist zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren nicht darauf angewiesen, im Winter Spieler zu verkaufen, um die Rückrunde zu finanzieren. Doch es gibt ganz offensichtlich Probleme. Schon vor über einem halben Jahr war Schatzmeister Robert Perchtold zurückgetreten, es gibt bis heute keinen Nachfolger. Nun folgt Protest: Vor knapp zwei Wochen haben die Jugendleiter Michael Frühbeis und Markus Oberleitner ihre Ämter niedergelegt. Die Begründung: Der Verein werde unprofessionell geführt.

Ausgerechnet Oberleitner, der Vereinsheld. Er war es nämlich, der damals nach Ballacks Eigentor das entscheidende 2:0 in der 72. Minute erzielte. "Ich weiß nicht mehr, was mir damals durch den Kopf gegangen ist, ich habe ja nach dem Tor auch ziemlich komisch gejubelt", erzählt er. Der heute 42-Jährige nennt es heute den "Schmetterlingsjubel", schlecht choreografiert, aber von Herzen. Er persönlich habe damals viele Danksagungen von Bayern-Spielern erhalten, die SpVgg und der Last-Minute-Meister hatten anschließend gemeinsam gefeiert.

Doch nostalgisch wird Oberleitner dieser Tage nicht. "Es waren ja damals ganz andere Zeiten. Wir waren ein verschworener Haufen, nicht nur die Mannschaft, das ganze Umfeld." Heute geht es Oberleitner darum, den Verein zu verändern. Er will der SpVgg mit seinem Rücktritt gar nicht den Rücken kehren, sondern zu einem Neuanfang aufrufen. In dieser Hinsicht wäre ein Sieg gegen Leverkusen gar nicht so förderlich: Er würde Schwabl stärken.

Schwabl will neuen Sponsor gewinnen

Schwabl selbst findet, die Kritik kommt zur falschen Zeit. Er sei aktuell in "guten Gesprächen" mit einem möglichen "strategischen Partner", wie der Präsident es nennt. Bei diesem handelt es sich um eine Tochter der ProSiebenSat1-Media namens Sam Sports. Geschäftsführer ist der ehemalige Bayernspieler Christian Nerlinger. Allerdings werden auch diese Gespräche von kritischen Worten begleitet. Unter anderem Oberleitner befürchtet eine Kooperation, bei der die SpVgg zu viele Opfer bringen müsste. Zu möglichen Details der Partnerschaft will sich Schwabl allerdings noch nicht äußern. Überhaupt will er über Finanzielles oder auch seine eigene Zukunft erst nach dem Pokalspiel sprechen.

Sollte der Mannschaft von Trainer Claus Schromm nun auch noch der Einzug ins Viertelfinale gelingen, hätte man den geplanten Saisonetat von 400 000 Euro verdreifacht. Sicher sind schon einmal die Zuschauereinnahmen, der Sportpark wird so voll sein wie seit Jahren nicht. Schwabl hat auch einige Spieler aus dem 2000er- Kader eingeladen. Oberleitner ist zwar nicht darunter. Doch der Torschütze von damals hat fest vor, trotzdem zu kommen.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2015
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