Süddeutsche Zeitung

Deutschland gegen Italien:Endlich, das Derby d'Europa

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Italiener und Deutsche haben sich auf dem Fußballplatz viele harte Kämpfe geliefert - aber sie schätzen sich. Diese Freundschaft wird im EM-Viertelfinale auf die Probe gestellt.

Kommentar von Philipp Selldorf, Bordeaux

Der Fernsehkommentator Heribert Fassbender war selten so beliebt wie in jenen Tagen vor 26 Jahren, als er beim Anblick des niederländischen Verteidigers Ronald Koeman (sprich: Kuhmann) wild erregt ausrief: "Der heißt schon so - dem würde ich auch nicht über den Weg trauen . . ."

Heutzutage würde Fassbender für diesen Spruch, der nicht der einzige und nicht der heftigste war an diesem Abend, unter Chauvinismus-Verdacht gestellt und in eine Moral-Debatte verstrickt. Damals aber erhielt Fassbender für seinen Chauvinismus und seine offene Parteinahme Zustimmung, vielen Leuten hatte er aus der Seele gesprochen, denn die Begegnung des deutschen und des niederländischen Nationalteams 1990 beim Achtelfinale der Weltmeisterschaft im Giuseppe-Meazza-Stadion stellte zweierlei dar: ein Fußballspiel und die Fortsetzung eines bilateralen Konflikts mit sportlichen Mitteln.

Auf beiden Seiten herrschten revanchistische Stimmungen, Gewaltausbrüche inbegriffen. Fußball war der Anlass, aber nicht die Ursache. Dass diese Zeiten vorbei sind, das ist eine zivilisatorische Leistung und ein Stück europäischer Einigung.

Torhüter Buffon verleiht dem Klassiker einen Ehrentitel

In den Konflikt wurden 1990 auch die Italiener verstrickt, die in Mailand ins Stadion gingen. Sowohl die Deutschen wie auch die Niederländer repräsentierten führende italienische Fußball-Marken: Gullit, Rijkaard und van Basten den AC Milan; Klinsmann, Brehme und Matthäus den FC Internazionale.

Ansonsten hatten die Deutschen während dieser WM durchweg Heimspiele: in Mailand, in Turin und in Rom. Das lag an den vielen sogenannten Bundesliga-Legionären in der Serie A (im Endspiel mit Roma-Rudi Völler vorneweg) - und an der generellen Wertschätzung der Italiener für den deutschen Fußball respektive die Deutschen. In Verona etwa war Hans-Peter Briegel in seiner Eigenschaft als "Walz aus der Pfalz" ähnlich beliebt wie hierzulande der just verstorbene Dottore Carlo Pedersoli alias Bud Spencer.

Sogar "Fußballer des Jahres" wurde Briegel in Italien, und das sicherlich nicht wegen seiner feinen Tricks (zumal in einer Zeit, in der Diego Maradona in Neapel spielte). Oliver Bierhoff, der in der Serie A eine Art Tellerwäscherkarriere gemacht hat - aus Ascoli über Udine zum AC Milan - hat ebenfalls zur Verständigung beigetragen. "Wir Deutsche waren halt die Panzer - und daran war ich nicht ganz unbeteiligt", sagt er. Wobei der Begriff Panzer nicht nur fürs Robuste und Wehrhafte und für Bierhoffs Kopfballtore stand, sondern auch für Qualitätsarbeit und Technikniveau. Weshalb auch der heutige deutsche Spielstil immer noch respektvoll in die Panzer-Tradition eingereiht wird.

Tatsächlich sind sich Deutschland und Italien nicht nur, aber besonders auf dem Fußballplatz ziemlich nahe. Die Lebensarten mögen sich unterscheiden, die Mentalitäten aber entsprechen sich. Auf der Ebene jenseits der nationalen Stereotypen besteht viel Achtung füreinander. Diese beiden großen Fußball-Nationen, jeweils viermal Weltmeister, haben sich schon viele harte Kämpfe geliefert, aber sie sind dabei (meistens) ohne Ressentiments ausgekommen. Der Fußball war nicht die Bühne, um die Geschichte aufzuarbeiten, und auch jetzt ist es kein Hochrisikospiel, wenn sich Deutschland und Italien in Bordeaux zum EM-Viertelfinale treffen.

Der große alte Meister Gianluigi Buffon hat schon vor drei Jahren die Spiele zwischen Deutschland und Italien zum "Derby d'Europa" befördert. Ein Ehrentitel ist das und ein schöner Beitrag zu dieser alten, über Generationen gewachsenen Freundschaft, die am Samstag wieder auf die Probe gestellt wird.

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SZ vom 02.07.2016
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