Süddeutsche Zeitung

Deutsches Fazit der Biathlon-WM:Rendezvous an der Dartscheibe

Lesezeit: 3 min

Von Joachim Mölter, Kontiolahti

Der Physiotherapeut Silvio Thieme hat wohl auch nicht gedacht, dass das wichtigste Utensil, das er für die Biathlon-WM in Kontiolahti eingepackt hatte, seine Dartscheibe sein würde, samt den dazugehörenden Pfeilen. Damit haben sich die deutschen Athleten immer wieder die Zeit vertrieben zwischen den Wettkämpfen, und nachdem sich am Freitagabend erst die Frauen und tags darauf dann die Männer den Staffel-Titel gesichert hatten, jeweils mit nur ganz wenigen Nachladern, kam die Frage auf, ob sie ihre Treffsicherheit beim Pfeilewerfen geschult hätten. "Es wäre vermessen, das auf die Scheibe zu schieben", sagte Erik Lesser, der Startläufer des erstmals seit 2004 wieder bei einer WM siegreichen Männer-Quartetts, "aber es war schon eine gute Idee von unserem Physio, sie mitzunehmen."

"Noch nie erlebt, dass alle zur Siegerehrung kommen"

Weil es im Hotel kein deutsches Fernsehprogramm gab zwecks Zerstreuung, kamen alle an der Dartscheibe zusammen, Männer und Frauen, Trainer und Betreuer, Jüngere und Ältere. Sie müssen eine Menge Spaß dabei gehabt haben, unabhängig voneinander erzählten sie jedenfalls von einer prima Stimmung. An der Dartscheibe festigte sich offensichtlich der Teamgeist, den die Biathlon-Abteilung des Deutschen Skiverbandes (DSV) bei diesen Titelkämpfen beschwor. Und der fand seinen Ausdruck in den Staffelerfolgen von Franziska Hildebrand, Franziska Preuß, Vanessa Hinz und Laura Dahlmeier sowie Erik Lesser, Daniel Böhm, Arnd Peiffer und Simon Schempp.

"Ich bin jetzt seit 15 Jahren im Biathlon dabei, aber ich habe es noch nie erlebt, dass wirklich alle zu einer Siegerehrung gekommen sind, sogar Techniker, Ärzte, Physios", sagte Björn Weisheit, seit einem Jahr der Sportliche Leiter Biathlon im deutschen Verband.

Nach Olympia hat sich einiges getan

Gerade diese Mannschaftserfolge werden nun als Zeichen einer Trendwende gefeiert nach den Tiefpunkten bei der WM 2013 in Nove Mesto und den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi, wo die DSV-Biathleten ohne Titel geblieben waren und jeweils nur zwei Medaillen mit nach Hause brachten. Nach Olympia hat sich dann einiges getan im deutschen Biathlon-Lager. "Wir haben uns alle zusammengerauft", erzählte Weisheit, "je größer die Not ist, desto größer ist die Bereitschaft, etwas zu ändern."

In Andreas Stitzl und Tobias Reiter bekamen die Cheftrainer Mark Kirchner (Männer) und Gerald Hönig (Frauen) zwei junge, innovative Assistenten an die Seite gestellt. In erster Linie haben sie aber die interne Kommunikation verbessert, haben auch die Nachwuchscoaches in die Debatten über Trainingsgestaltung, -aufbau und -methodik einbezogen, haben Dinge belebt, "die wahrscheinlich irgendwann durch Betriebsblindheit verloren gegangen sind", wie Weisheit vermutet. Es ist noch längst nicht alles umgesetzt, was das nach einem alten DDR-Begriff benannte Gremium "Steuer aktiv" sich vorgenommen hat, "aber wir sehen uns jetzt nicht mehr als Männer- oder Frauen-Team, sondern als eine Biathlon-Mannschaft", sagt Weisheit und fügt hinzu: "Wir sind auf einem guten Weg."

Bei der WM 1997 in Osrblie/Slowakei haben die deutschen Biathleten schon einmal beide Staffel-Titel gewonnen. Diese Erfolge leiteten dann eine anderthalb Jahrzehnte währende Ära ein. Zwischen der WM 1999 in Kontiolahti und den Titelkämpfen 2012 in Ruhpolding sammelte der DSV immer mindestens fünf Medaillen und einen Titel ein, meistens mehr. Auch bei der Heim-WM vor drei Jahren hatte es noch fünf Medaillen gegeben (zweimal Gold, einmal Silber, zweimal Bronze), aber an vier war Magdalena Neuner beteiligt gewesen, die Rekord-Weltmeisterin aus Wallgau, die anschließend ihre Karriere beendete. Ihre Leistungen überdeckten, dass der Niedergang schon eingesetzt hatte.

Drei WM-Titel für deutsches Team

Aus Kontiolahti bringen die DSV-Athleten nun also drei Titel mit, neben denen in der Staffel noch den in der Verfolgung durch Erik Lesser. Außerdem gab es zwei Silbermedaillen: durch Laura Dahlmeier in der Verfolgung und Franziska Preuß im Massenstart.

Die deutschen Biathleten haben also an ihre glorreichen Zeiten angeknüpft in Kontiolahti, sie haben einen neuen Aufschwung eingeleitet, und es sieht durchaus so aus, dass er lange anhält, wohl über die nächsten Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang/Südkorea hinaus. Bei den Frauen ist Hildebrand mit ihren 27 Jahren mit Abstand die Älteste, der Rest des WM-Teams ist Anfang 20. Die Männer bewegen sich zwischen 24 und 28 Jahren, wenn man Andreas Birnbacher, 33, außer Acht lässt. Der war erkrankt aus Kontiolahti abgereist, ohne einmal eingesetzt worden zu sein; Bundestrainer Kirchner zählte ihn aber ausdrücklich zum Team dazu. Er hat schließlich auch auf die Dartscheibe geworfen.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2015
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