Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalelf:Toni Kroos etabliert sich beim DFB als Chef

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Von Benedikt Warmbrunn, Ascona

Toni Kroos hat sich auf die Vorderkante seines Stuhls geschoben, die Rückenlehne berührt er nur noch mit den Schulterblättern, die Hände hat er ineinander gelegt. Ganz entspannt hat er sich es gemacht, er wird sich jetzt minutenlang nicht mehr bewegen. Die großen und richtig großen Ereignisse dieses Sommers können auf ihn zukommen, er ist bereit, er ist gelassen, das sagt die Pose. In diesem Sommer, das ist das richtig große Ereignis, wird Kroos ja zum zweiten Mal Vater, aber das nimmt ihm natürlich nicht seine Souveränität. Was es denn werde? "Es wird", sagt Kroos, "ein Junge oder ein Mädchen."

Der Medientag der deutschen Nationalmannschaft am Donnerstag ist auch der erste Auftritt von Toni Kroos in Ascona. Er war erst am Mittwochabend im Trainingslager angekommen, als letzter Spieler, dafür als Champions-League-Sieger mit Real Madrid. Zwei Tage lang konnte er sich mit seiner Familie erholen, was genau die richtige Länge war, findet Kroos.

Zum einen, sagt er, "spiele ich so im Endeffekt durch", er hält das für hilfreich: "Prinzipiell ist es sehr gut, wenn die Spannung oben bleibt." Zum anderen konnte er sich von den Festlichkeiten erholen: "So schnell beeindruckt mich nichts", sagt Kroos, "aber das war schon ein Highlight." Ganz Madrid, erzählt er, habe am Tag nach dem Sieg gegen den Stadtrivalen Atlético mit dem Team gefeiert, "sehr ausgelassen" sei es gewesen. Er sagt das so unbeeindruckt, dass jedem klar wird, wie schwer es ist, ihn zu beeindrucken.

Diese lässige Ruhe in der größten Aufregung, das ist auch die Qualität, die Bundestrainer Joachim Löw sich von seinem Mittelfeldspieler bei dem anstehenden großen Ereignis, der EM in Frankreich, erhofft. Gerade in den Vorrundenspielen wird Kroos eine zentrale Rolle übernehmen, da noch unsicher ist, ob Bastian Schweinsteiger von Beginn an mitspielen kann; auch Sami Khedira ist aus einer Verletzungspause zurückgekehrt.

"Ich bin einer, der immer den Ball will"

Kroos selbst berührt das seinem Naturell gemäß wenig, eigentlich, sagt er, sei doch alles wie immer. Egal, gegen wen er auf dem Platz steht. Egal, mit wem er auf dem Platz steht: "Ich bin einer, der immer den Ball will", sagt er, eine Rolle, die seiner Meinung nach nur derjenige übernehmen kann, der sich vor der Verantwortung nicht scheut. Auch das ist aber keine große Sache, "du wächst automatisch in so etwas rein".

Im März, bei den Testspielen gegen England und Italien, war Kroos zusätzlich in eine Rolle hineingewachsen, die zuvor niemand mit ihm verbunden hatte: die Rolle des Torschützen. In beiden Partien traf er je einmal - in den ersten 62 Spielen für die Nationalmannschaft waren es neun Tore: "Gegen diese Rolle werde ich mich sicher nie wehren. Wenn ich die Möglichkeit habe, ein Tor zu schießen, dann werde ich auch schießen", sagt Kroos, "aber ich sehe es weiterhin als meine Hauptaufgabe, die Sachen im Mittelfeld vorzubereiten."

Dann endet die Audienz des Mannes, der trotz des Champions-League-Titels, trotz anstehender EM und trotz anstehender Geburt nie die Ruhe verliert. Auf einmal ist Kroos weg, und es ist nicht ganz klar, ob er sich dafür wirklich bewegen musste.

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SZ vom 03.06.2016
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