Süddeutsche Zeitung

DEL:Red Bull greift nach der Meisterschaft

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer, München

Der Eishockeytrainer Don Jackson hat viel erlebt. Er hat hinter dem großen Wayne Gretzky verteidigt. Er hat zweimal den Stanley Cup gewonnen, die wichtigste Trophäe im Eishockey. Er hat als Trainer in Berlin fünfmal die deutsche Meisterschaft gewonnen. Und doch hat der US-Amerikaner über ein paar Szenen eines Eishockeyspiels in München am Freitagabend gesagt, sie hätten ihn schockiert. Zwar erklärte der Trainer des EHC München dies in der Tonlage eines gemütlichen Brummbären. Aber es war auch für Jackson, 59, ein besonderer Abend.

23 Sekunden waren noch auf der Uhr im fünften Spiel der Playoff-Halbfinalserie zwischen den Münchnern und den Kölner Haien, die ein wildes Eishockey-Spiel gerade - elf Sekunden zuvor - zum 4:4 ausgeglichen hatten, als es in der kleinen Münchner Olympiahalle so laut wurde wie lange nicht mehr. 4:4, das hätte eine Verlängerung und womöglich ein sechstes Spiel in der Serie bedeutet. Doch dann übertölpelte der EHC die Haie, und Münchens Frank Mauer traf zum 5:4. Eishockeyspieler, die ja sonst eher wirken wie gefühlskalte Kühlschränke, sprangen auf dem Eis und an der Bande umher wie kleine Kinder bei der Freibad-Eröffnung. Und Jackson blickte zu seinem Assistenten: "Schockiert."

Dieses 5:4 bedeutet ja nicht nur, dass der EHC München erstmals im Finale um die deutsche Meisterschaft steht - entweder gegen Nürnberg oder Wolfsburg, diese Serie geht am Sonntag ins sechste Spiel. Das 5:4 bedeutet auch, dass in München gerade mit hoher Wahrscheinlichkeit das Versprechen eines mächtigen Brausekonzerns eingelöst wird. Ein Versprechen, für das seit zwei Jahren Jackson verantwortlich ist.

"Wir wissen, dass wir das Werkzeug haben, um unseren Job zu erledigen"

Seit sechs Jahren gibt es in München wieder Erstliga-Eishockey, vor vier Jahren stieg Red Bull als Haupt- und Namenssponsor beim EHC ein, seit drei Jahren macht der Konzern richtig ernst, als Inhaber des Klubs. Das erste Jahr endete enttäuschend in den Pre-Playoffs. Dann kam Jackson, doch trotzdem war 2015 nach vier Niederlagen gegen Wolfsburg im Viertelfinale Schluss. Und in diesem Jahr: Hauptrundensieger, Finaleinzug. Siegtorschütze Mauer stand mit einer Bierflasche in den Katakomben und sagte: "Das war ein wichtiger Schritt für das Eishockey in München."

Eishockey in München: Der Zuschauerschnitt war in der Hauptrunde der drittschlechteste der Liga, nur zwei als Event vermarktete Spiele in der großen Olympiahalle vor knapp 10 000 Zuschauern deuteten im Winter das Potenzial an. Auch die Mannschaft, im Sommer mit einem Etat von geschätzten 12,5 Millionen Euro generalüberholt und damit die teuerste der Liga, zeigte in der Vergangenheit nicht immer alles, was sie kann. Doch Geschichten von angedeutetem Potenzial sind keine, die dem Sponsor gefallen. "Wir wissen, dass wir das Werkzeug haben, um unseren Job zu erledigen", sagte Jackson am Freitag. Der Job: Meister zu werden.

Das Werkzeug sind etwa die Fähigkeiten von Nationalspieler Mauer, 27, der im Sommer von Meister Mannheim kam. Am Freitag spielte er überragend, schoss neben dem entscheidenden noch ein weiteres Tor und bereitete eines gar noch schöner vor, als er die Scheibe auf der Rückhand um einen Kölner Verteidiger herumwickelte, lange wartete und dann im richtigen Moment auf den ebenfalls starken Dominik Kahun querlegte. Der Deutsch-Kanadier Steve Pinizzotto, der in den Playoffs nicht nur durch Tore, sondern auch durch Prügeleien auffiel, mit denen er seine Kollegen emotional anstachelte, ist noch so ein Erfolgsfaktor. Genau wie der frühere NHL-Goalie und inzwischen unangefochtene Stammtorhüter David Leggio.

Frank Mauer fühlt sich an die Mannheimer Meistermannschaft erinnert

Und natürlich Trainer Jackson, der die Mannschaft in den vergangenen Monaten zu einem echten Spitzenteam geformt hat. Das Münchner Unterzahlspiel ist das beste der Liga und oft schier unüberwindbar. Die Defensive ist Münchens Trumpf. Nun, in den Playoffs, scheint auch die Offensive heiß zu laufen: In fünf Spielen gegen die Haie schoss der EHC viermal fünf Tore, das Überzahlspiel wird effektiver, gegen Köln gelangen am Freitag zwei Powerplay-Tore, zum 1:0 und 3:1. Frank Mauer sagte am Freitag, was er zuletzt oft gesagt hat: Vieles in München erinnere ihn gerade an die Vorsaison in Mannheim, die mit dem Titel endete.

Mauer lobte natürlich auch den Teamgeist der Mannschaft, wie es Sportler in solchen Momenten immer tun. Doch er wusste wohl selbst, dass die Münchner Erfolgsgeschichte wenig mit Teamgeist zu tun hat. Den demonstrierten wenn überhaupt exemplarisch die Kölner, die sich, gezeichnet von drei Pre-Playoff-Spielen gegen Mannheim und einer sieben Spiele langen Serie gegen den Hauptrunden-Zweiten Berlin, trotzdem nicht aufgaben, obwohl ihre physische und spielerische Unterlegenheit offensichtlich war.

Das letzte Halbfinale der Serie war ein besonderes Eishockeyspiel, doch die Geschichte war bei aller Euphorie in der Halle keine romantische: Die teuerste Mannschaft mit dem besten Trainer spielt das schönste und beste Eishockey. Die Botschaften passen in München jetzt zur Marke. Als EHC-Stürmer Mads Christensen in der Nacht über das Finale sprach, prangte das Logo von Ausrüster "Warrior" auf seinem Pullover. Dann sagte er: "Jede Mannschaft will den Pokal holen. Es wird ein Krieg."

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SZ vom 10.04.2016
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