Süddeutsche Zeitung

DEL:Ein Pferd vor dem Tor

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Beinahe wäre der Saisonstart des ERC Ingolstadt komplett schief gegangen. Dass es gegen die Schwenninger Wild Wings anders kam, hatte er der Spezialität von Louis-Marc Aubry zu verdanken.

Von Christian Bernhard

Eine der Königsdisziplinen im Eishockey ist das gekonnte Abfälschen der Scheibe direkt vor dem gegnerischen Tor. Die Torhüter sind in solchen Situationen meist chancenlos, da ihnen die Sicht versperrt ist und sie aufgrund der kurzen Reaktionszeit kaum noch etwas ausrichten können. Einer der besten Interpreten dieses Fachs in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ist Louis-Marc Aubry, Angreifer des ERC Ingolstadt. Seiner Expertise in diesem keineswegs einfachen Metier - die gegnerischen Verteidigungen tun im Normalfall alles dafür, einem Stürmer den Aufenthalt in der Zone direkt vor dem eigenen Tor so ungemütlich wie nur möglich zu machen - hat es der ERC zu verdanken, dass sein Saisonstart nicht komplett in die Hose ging.

Zehn Sekunden waren am Sonntagabend nur noch auf der Uhr, als sich Aubry vor dem Tor der Schwenninger Wild Wings platzierte und die Scheibe nach dem Schuss von Verteidiger David Warsofsky nur leicht, aber entscheidend abfälschte. Es war der sehr späte 2:1-Siegtreffer für die Ingolstädter, den sie im ersten Heimspiel mit Publikum seit eineinhalb Jahren euphorisch mit ihren Fans bejubelten. Dabei fiel allen Ingolstädtern ein kleiner Stein vom Herzen, denn der Saisonauftakt am Freitag war durch die 4:5-Auswärtsniederlage bei Aufsteiger Bietigheim Steelers gehörig misslungen.

Er wiegt keine 150 Kilo, trotzdem ist es ein schwieriges Unterfangen, Aubry vor dem Tor "wegzuräumen"

Aubry lachte, als er am Sonntag bei Magentasport den spannenden Eishockey-Abend Revue passieren ließ. "Es macht Spaß, das Spiel so zu beenden", frohlockte der 29-jährige Kanadier. "Das war einer dieser Abfälscher, bei denen du nicht sicher sein kannst. Umso glücklicher bin ich, dass er rein ist." Es ist löblich, dass Aubry seine Qualitäten nicht in den Mittelpunkt stellte. In Wahrheit ist es aber so: Bei Aubry kann man sich in Sachen abgefälschte Schüsse ziemlich oft ziemlich sicher sein, dass sie klappen. Schon im ersten Drittel hatte er auf diese Art und Weise in Überzahl einen Warsofsky-Schuss zum 1:1 abgelenkt (5.). In Bietigheim war Aubry ebenfalls zweimal erfolgreich gewesen, auch dort erzielte er beide Treffer dort, wo er sich am wohlsten fühlt: in unmittelbarer Nähe des gegnerischen Gehäuses. Sein Team hätte stärker vor dem eigenen Tor sein müssen, sagte Schwenningens Daniel Pfaffengut, "da kann ein 150 Kilogramm-Mann stehen, den muss man trotzdem wegräumen." Aubry wiegt keine 150 Kilogramm, um genau zu sein 54 Kilogramm weniger, aber ihn wegzuräumen, ist dennoch ein äußerst schwieriges Unterfangen. "Seine Präsenz vor dem gegnerischen Tor ist beeindruckend", schwärmt ERC-Sportdirektor Larry Mitchell. "Physisch sein, das ist mein Spiel", sagt der Kanadier über sich selbst - und das garniert er gerne mit wichtigen Toren.

Vier Treffer in den ersten zwei Saisonspielen: Das "Playoff-Monster", wie er im Frühjahr nicht nur von Mitchell genannt wurde, als die Ingolstädter erst im entscheidenden dritten Halbfinalspiel am späteren Meister Eisbären Berlin gescheitert waren, scheint seine Playoff-Form über den Sommer konserviert zu haben. "King Louis spielt wie King Louis", schwärmte Ingolstadts Trainer Doug Shedden und fügte an: "Im Moment ist Louis ein Pferd." Er meinte das durchwegs positiv, nicht despektierlich. Aubry erweckte Shedden auch aus dem Albtraum, der ihn immer dann ereile, "wenn ich einen Torhüter namens Eriksson sehe", wie der ERC-Trainer verriet. Schwenningens schwedischer Torwart Joacim Eriksson spielte wie so oft stark, was Shedden wenig überraschte. "Ich habe ihn noch nie ein schlechtes Spiel machen sehen", sagte er, "und ich sehe ihn viel spielen." Zwei abgefälschte Schüsse, "so überwindest du einen wie Eriksson", betonte Shedden.

Durch die zwei Aubry-Tore gerieten am Sonntag die Schwächen in den Hintergrund, die der ERC zum Saisonauftakt in Bietigheim offenbart hatte, als er ein ums andere Mal in Steelers-Konter lief. "Das war viel zu wenig von uns", unterstrich Kapitän Fabio Wagner, "in der eigenen Zone waren wir zu schlecht." Zwei Tage später war Aubry in der gegnerischen Zone zu gut.

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