Süddeutsche Zeitung

Davis Cup:Tennis-Clique auf Klassenfahrt

Lesezeit: 3 min

Die deutsche Davis-Cup-Mannschaft strauchelt, kämpft sich zurück und steht nun vor einer besonderen Chance: Das erste Halbfinale seit 14 Jahren ist nur noch einen Sieg entfernt.

Von Gerald Kleffmann

Es ist nicht überliefert, ob Stühle kaputt gingen, ob Flaschen gegen die Wände flogen, ob Schläger zertrümmert wurden. Dominik Koepfer kann ja, wie er auch selbst weiß ("bin ein Hitzkopf auf dem Platz"), gerne sehr impulsiv sein. Vor allem wenn es nicht läuft, wie an diesem Sonntag. Das deutsche Davis-Cup-Team musste gegen Österreich gewinnen, um das Viertelfinale zu erreichen. Und er? Verlor.

Das Überraschende passiert im Davis Cup

Erstes Match. Koepfer, die Nummer 54 der Weltrangliste, gegen Juri Rodionow, die Nummer 141. Die Rollenverteilung war klar. Doch dann geschah das Überraschende: Der Außenseiter überrannte den Favoriten mit 6:1, der zweite Satz wurde umkämpfter, doch: 7:5 für den Linkshänder aus Wien gegen den Linkshänder aus Furtwangen im Schwarzwald. Die Mannschaft des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) lag 0:1 zurück. Das bedeutete: Das zweite Einzel musste Jan-Lennard Struff gewinnen.

Und Kevin Krawietz/Tim Pütz mussten im Doppel reüssieren. Michael Kohlmann indes musste sich in dieser Phase einer ganz anderen, delikaten Führungsaufgabe stellen - und Koepfer beruhigen. "Er hat sich so ein bisschen runtergezogen. Das hat auch für ein paar negative Momente in der Umkleide gesorgt", verriet der deutsche Davis-Cup-Teamchef später.

Dass die deutsche Auswahl diese kritische Stimmungslage bewältigte und Struff (7:5, 6:4 gegen Dennis Novak) sowie Krawietz/Pütz (6:3, 6:4 gegen Oliver Marach/Philipp Oswald) siegten, verdeutlichte ihre größte Stärke: "Das war eine coole Teamleistung"- so brachte es Krawietz auf den Punkt.

"Wir haben einen großen Sieg gegen einen der besten Spieler aller Zeiten eingefahren"

An diesem Dienstag (16 Uhr, Servus TV) steht für den DTB in Innsbruck gleich die nächste Partie an, diesmal ist es, nach der Gruppenphase, in der Serbien mit dem Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic bezwungen worden war, ein K.o.-Spiel. Wie 2019 in Madrid, wo diesmal nur die zwei Halbfinals sowie das Finale Ende dieser Woche stattfinden, ist Großbritannien der Gegner - und gilt mit dem Weltranglisten-Zwölften Cameron Norrie, mit Dan Evans und dem Doppel Joe Salisbury/Neal Skupski als stärkeres Team. Andererseits: War das Serbien mit dem 20-maligen Grand-Slam-Champion Djokovic nicht auch?

Den Deutschen hilft in diesem Fall der nun zum zweiten Mal praktizierte neue Modus. Bei nur zwei Einzeln (zwei Gewinnsätze) und einem Doppel sind Teams mit überragenden Einzelkönnern nicht mehr so im Vorteil. Struff unterlag zwar Djokovic, doch Koepfer besiegte Filip Krajinovic, und Krawietz/Pütz gewannen das Doppel gegen Djokovic und Nikola Cacic. So kippen jetzt Partien.

"Wir haben einen großen Sieg gegen einen der besten Spieler aller Zeiten eingefahren", sagte Kohlmann zu diesem Erfolg. Auch gegen Großbritannien traut er seinen Spielern, natürlich, das Weiterkommen zu: "Ich bin positiv eingestellt und habe ein gutes Gefühl. Wir haben uns in dieser schweren Gruppe durchgesetzt und haben jetzt nichts mehr zu verlieren." Deutschland könnte zum ersten Mal seit 14 Jahren das Halbfinale des Davis Cups erreichen. 2007 scheiterte das Team mit 2:3 an Russland, mit Philipp Kohlschreiber und Philipp Petzschner in den Einzeln.

An mangelndem Zusammenhalt dürfte es nicht liegen, sollte dieses Ziel verpasst werden. Kohlmann, gebürtig aus Hagen und nun in München zu Hause, lobt völlig zu recht seine Mannschaft: "Da hat sich was entwickelt über die Jahre. Das Betreuerteam ist seit sechs, sieben Jahren zusammen. Da weiß der eine, was der andere macht." Und er hob auch hervor, wie gut sich die Spieler kennen würden - "das ist sehr wichtig, dass die Jungs eine gute Stimmung untereinander haben. Dass da kein Neid ist, jeder es dem anderen gönnt. Das haben wir ganz gut hingekriegt".

Alexander Zverev fiebert aus Dubai mit

Tatsächlich gleicht diese deutsche Einheit eher einer festen Clique auf Klassenfahrt. Sie chatten in Whatsapp-Gruppen, verbringen Freizeit miteinander, lachen übereinander, und wenn statt Andreas Mies und Philipp Kohlschreiber, die 2019 dabei waren, nun der gewitzte Tim Pütz und der introvertierte Peter Gojowczyk ins Team rücken, bleibt auch alles harmonisch und vertraut. Kohlmann wiederum besitzt eine Art, die verbindet, integriert; motivieren kann er auch, wie nach Koepfers Niederlage gegen Rodionow, als er in der Kabine das hier sagte, wie er verriet: "Wir sind so ein gutes Team, wir haben das über die Jahre bewiesen, und da kann uns so was nicht aus der Bahn werfen. Ich habe versucht, noch mal alle zu packen, und dass wir uns stellen."

Alexander Zverev, der Weltranglisten-Dritte, fehlt bekanntlich, der 24-Jährige lehnt das Format des neuen Davis Cups ab, den eine Investorengruppe um den spanischen Fußballprofi Gerard Piqué übernommen hat. Trotzdem spielt selbst er eine positive Rolle im Hintergrund und fiebert gerade aus dem fernen Dubai mit. Im Internet gratulierte er sofort den deutschen Kollegen, mit den meisten war er auch in Tokio, als er Olympiasieger wurde, gemeinsam unterwegs.

Besonders mit Krawietz ist er inzwischen befreundet, der zweimalige French-Open-Sieger im Doppel wird nun gar von Mischa Zverev als Manager betreut. Diese deutsche Mannschaft ist auf vielen verschiedenen Ebenen zusammengewachsen. "Wir stehen als Team zusammen, egal ob es gut oder schlecht läuft", sagte Kohlmann: "Das macht mich sehr stolz."

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