Süddeutsche Zeitung

Davis-Cup-Team schafft Klassenerhalt:Cedrik-Marcel Stebe erhebt sich über sich selbst

Lesezeit: 3 min

Euphorie für einen Tag: Der 21-jährige Tennisprofi besiegt im letzten Einzel den früheren Weltranglisten-Ersten Lleyton Hewitt und sichert der deutschen Davis-Cup-Mannschaft noch überraschend den Klassenerhalt. Dennoch bleibt das Team rundum zerstritten.

Philipp Schneider, Hamburg

Der Australier stand nun plötzlich auch noch im Sonnenschein, sein gelbes Oberleibchen reflektierte die Strahlen, dass er fast blendete, und dann fuhr Lleyton Hewitt, dieser große, kleingewachsene Mann des Tennissports mit den Schuhen durch den Sand - vier Meter hinter der Grundlinie, kurz vor den Füßen des Linienrichters, wo er sich ohnehin eigentlich nie aufhalten muss. War da was? Eine Erhebung, ein formidabler Sandhügel womöglich?

Hewitt plättete ihn. Er stampfte ihn ein. Er lag doch gleich mit zwei Breaks vorne, erster Satz, und auf der anderen Seite stand nur Cedrik-Marcel Stebe, Weltranglistenplatz 127. Es wäre ja auch ein Witz, würde sich Hewitt, nein, würden sich die Australier, an diesem Wochenende in Hamburg noch wegen einer derartigen Banalität den Sieg nehmen lassen.

Es stand zwar 2:2, es ging für Australien um den ersten Aufstieg seit sechs Jahren - und für das deutsche Davis-Cup-Team darum, den ersten Abstieg aus der Weltgruppe seit 2003 zu verhindern. Aber Hewitt konnte ja nicht ahnen, dass sich Stebe, dieser 21 Jahre junge Profi, noch über sich selbst erheben sollte an diesem Sonntag. Dass Stebe "über Hewitt hinweg rauschte", wie es Stebe selbst später sagte; mit 6:4, 6:1, 6:4 in einer Partie, die fast abgelenkt hätte von all dem Stunk und Zank im deutschen Männertennis. Ja, fast.

Nachdem Hewitt den letzten Ball ins Netz geschlagen hatte, geschah alles gleichzeitig. Die Zuschauer am Hamburger Rothenbaum tobten, Teamchef Patrik Kühnen riss die Arme in die Höhe, und die Zeigefinger richtete er auf seine Spieler, die am Rande standen: Auf Florian Mayer, der zuvor Bernard Tomic 6:4, 6:2, 6:3 geschlagen hatte, auf Philipp Petzschner, auf Benjamin Becker. Es war eine Geste der Fassungslosigkeit, aber auch eine der allertiefsten Genugtuung. Sie sollte sagen: Seht her, ich hab euch doch gesagt, der Stebe, der macht das schon.

Rückblickend darf Patrik Kühnen von sich sagen, dass er alles richtig entschieden hat. Nun, da der Klassenverbleib geschafft ist, ist es aus sportlicher Sicht in Ordnung, dass er seinen besten Profi Philipp Kohlschreiber nach einem persönlichen Zerwürfnis, das seit Februar nicht beigelegt werden konnte, nicht nominiert hatte. Und jetzt bot sich ja auch noch diese fantastische Chance zur Versöhnung aus der Ferne. In aller Öffentlichkeit. Kühnen sagte: "Mit großem Teamgeist sind solche Dinge möglich." Aha! Und in Zukunft eventuell auch wieder mit Kohlschreiber? "Die Spieler müssen sich mit allem einbringen, was sie haben, und nicht nur mit Tennis. Das wird weiter mein Anspruch sein."

Teamgeist hier, Zusammenhalt da, das klang natürlich alles toll. Man hätte fast übersehen können, dass die Herausstellung der aktuellen Mannschaft zugleich eine Herabwürdigung aller ehemaligen bedeutete. Nur Philipp Petzschner merkte es.

"Ich will jetzt mal eins klarstellen", sagte Petzschner, nachdem er die ganze Zeit geschwiegen hatte: "Wir hatten auch in der Vergangenheit immer eine tolle Stimmung im Team. Wir waren eine eingeschworene Truppe, und das soll auch so bleiben." Staunen in der Runde. Es war ja nicht wahr. Aber Petzschner hatte das anders gemeint. Er wollte einfach etwas Versöhnliches in die Welt setzen, etwas, das auch Teamchef Kühnen hätte sagen können. Denn weil die Causa Kohlschreiber in den vergangenen Tagen alles überlagerte, hatte sie die notwendige Debatte über zwei ebenfalls gerechtfertigte Fragen förmlich erstickt: Wo war Haas? Und wo war Kas? Haas, okay, er fehlte, weil er sich am Ende seiner Comeback-Saison körperlich schonen wollte. Aber Kas?

Denn dass Deutschland am Samstag gegen eines der weltbesten Doppel nicht in Bestbesetzung angetreten war und verlor, gegen Hewitt und Chris Guccione, einen 2,05 Meter großen Aufschlagriesen, der kein einziges seiner sieben Doppel für Australien verloren hat, das wäre ebenfalls vermeidbar gewesen. Doch auch Christopher Kas und Petzschner haben sich dem Vernehmen nach verkracht, was letztlich die Nominierung von Benjamin Becker, 31, zur Folge hatte - der keines seiner bislang fünf Spiele im Davis Cup gewinnen konnte.

Plötzlicher Auftritt von Karl-Georg Altenburg, seit November Präsident des Deutschen Tennis-Bunds, in dem es seit Februar an allen Ecken kriselt. Er war nun einfach da. Die Hände in die Seiten gestemmt, galt es den Sieg zu kommentieren. "Wir sind alle keine Wundermänner", sagte er, und das klang auch schon wieder gut. Diplomatisch. "Aber wir haben eine klar erkennbare Linie. Diese lautet: Teamgeist." Er habe auch ein "ganz tolles Gespräch" mit Florian Mayer am Freitag gehabt. Alles geregelt. Mayer hatte sich in einem Interview verärgert über Altenburgs Kritik an seinem Olympia-Verzicht gezeigt. Aber das Problem ist nun ausgeräumt. Manchmal genügt es, wenn man miteinander spricht. Und vorher war wohl keine Zeit.

Was bleiben wird nach diesem doch sehr glücklichen 3:2-Sieg gegen Australien, das ist ein noch immer zerstrittenes Davis-Cup-Team. Haas und Kohlschreiber sind seit der Niederlage in Bamberg im Februar verfeindet, ob einer von beiden noch einmal für Deutschland spielen wird, ist offen. Hinzu kommt die Frage nach der Zukunft des deutschen Doppels - und nach der von Teamchef Kühnen. Sein Vertrag läuft aus, wird indes wohl verlängert werden. Und dann beginnt für Kühnen eine Aufgabe, die seit nunmehr sieben Monaten wartet: Er muss schlichten.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2012
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