Süddeutsche Zeitung

Darts-WM:20 Pfeile in 90 atemberaubenden Sekunden

Lesezeit: 2 min

Dave Chisnall und Michael van Gerwen spielen bei der Darts-WM einen unfassbaren Satz - anschließend steht der Weltranglistenerste vor den Scherben einer ganzen Saison.

Von Carsten Scheele, München

Als sich Michael van Gerwen in der Nacht nach der Demontage verabschiedete, klang es, als kündige er gerade eine längere Auszeit an. "Ich muss über mein Spiel nachdenken und herausfinden, was schiefgelaufen ist", sagte van Gerwen tief gefrustet nach dem 0:5 im WM-Viertelfinale gegen Dave Chisnall. Dazu muss man wissen: Van Gerwen, 31, der dreimalige Darts-Weltmeister aus den Niederlanden, der seit 2014 an der Spitze der Weltrangliste steht, verliert sehr selten. Schon gar nicht im Viertelfinale. Und überhaupt nicht, wirklich nicht, mit einem White Wash, also ohne eigenen Satzgewinn, 0:5.

Nullfünf! Die Zahlen trafen van Gerwen wie Fausthiebe. Er sei "komplett am Boden zerstört", schrieb er in den sozialen Medien. Statt van Gerwen kam der Engländer Chisnall, 40, ins WM-Halbfinale im Ally Pally in London - er konnte das Niveau dort aber nicht halten und unterlag dem Schotten Gary Anderson, 50. Anderson wiederum musste sich im Finale am Sonntagabend dem Waliser Gerwyn Price beugen. Der 35-jährige Price siegte 7:3 und krönte sich erstmals zum Weltmeister. 500 000 Pfund erhält er für seinen Titel - Price ist ehemaliger Rugbyspieler, eine Kuriosität für sich.

Die eigentliche Kuriosität des Turniers spielte sich aber am Neujahrstag ab: Es war der Untergang des Weltranglistenersten.

Es war eine wirklich bemerkenswerte Partie, nicht nur wegen der Deutlichkeit, mit der Michael van Gerwen unterging. Er spielte nicht so schlecht, wie es die Zahlen nahelegen; zwischendurch, beim Stand von 0:3, lieferten sich beide Spieler einen Satz, der bei der in den Internetforen versammelten Fangemeinde schnell zum "besten Leg der Darts-Geschichte" ausgerufen wurde. Pro Leg geht es im Darts darum, den Ausgangswert von 501 Punkten exakt auf Null zu setzen. Dazu darf man theoretisch so lange benötigen, wie man lustig ist, man sollte es nur schneller schaffen als der Gegner.

"Es war das beste Spiel, das er je gemacht hat"

Chisnall und van Gerwen zeigten in der leeren Halle nun eine echte Show. Der Engländer startete mit der Höchstpunktzahl (180, dreimal Triple 20), der Niederländer ebenfalls. Chisnall warf dann die nächste 180, van Gerwen eine sehr gute 140. Chisnall hatte anschließend gar die Chance auf einen seltenen Neun-Darter, setzte seinen letzten Pfeil aber knapp neben das Feld der Doppel 12. Und van Gerwen zeigte nun seinen Ehrgeiz: Er spielte Triple 20, Triple 19, Doppel 12 - jene Pfeile also, die Chisnall zum Neun-Darter benötigt hätte. Doch Chisnall traf mit Dart Nummer elf das entscheidende Doppelfeld. Nach 20 Pfeilen und 90 atemberaubenden Sekunden war alles vorbei.

"Es war das beste Spiel, das er je gemacht hat", lobte van Gerwen seinen Kontrahenten. Und konnte es selbst kaum fassen: Der Niederländer hatte selbst ein fast perfektes Leg gespielt, stand nach neun Darts bei einem Restwert von 40 Punkten - und hatte trotzdem keine Chance, den Satz zu gewinnen, weil er einmal die Triple 20 verpasst hatte. Passend zu einer Saison, die er nicht so schnell vergessen wird: Van Gerwen ist nach der Corona-Pause im Frühjahr nie richtig in Fahrt gekommen, bei vielen großen Turnieren (World Matchplay, Premier League, Europameisterschaft) schied er früh aus.

Gerwyn Price, der neue Weltmeister, hat ihn sogar in der Weltrangliste von der Spitze verdrängt. Gemessen an van Gerwens Ansprüchen: ein vermaledeites Jahr.

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