Süddeutsche Zeitung

Dänemark bei der EM 2021:Noch mal ein Auftaktspiel

Lesezeit: 4 min

Nach einem Besuch von Christian Eriksen im Teamquartier macht Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand eine zum Guten veränderte Stimmung im Team aus. Die nun gegen Russland in einer "magischen Nacht" aufgehen soll.

Von Sebastian Fischer

Es sollte ein Test für die schweren Partien der Europameisterschaft sein, gegen eine starke Mannschaft, so fiel die Wahl auf Dänemark. Und man konnte im Freundschaftsspiel der deutschen Nationalelf vor zweieinhalb Wochen in Innsbruck in Ansätzen erkennen, warum der Gegner zu den sogenannten "Geheimfavoriten" des Turniers gezählt wurde. Eine schwer zu durchdringende Abwehr hatten sie, und auch nach vorne viele begabte Fußballer, natürlich ganz besonders Christian Eriksen. Mit Präzision bereitete er das Tor zum 1:1 vor. Die Dänen, der Weltranglistenzehnte, näherten sich der EM-Form.

Die Geschichte dieses Turniers ist für die Dänen bekanntlich eine andere geworden. Der Sport wird aus ihrer Perspektive für immer nachrangig sein, es wird stets um Eriksens Gesundheit gehen. Nach seinem Herzstillstand im ersten Spiel gegen Finnland, nach der ergreifenden Solidarität, dem ihm geltenden Applaus und den tosenden Anfeuerungen der Zuschauer im Stadion in Kopenhagen während des zweiten Spiels gegen Belgien, ist er inzwischen mit eingesetztem Defibrillator aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Nun allerdings, vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Russland an diesem Montag, sagte Trainer Kasper Hjulmand: "Es ist, als würde für uns die Euro erst jetzt beginnen." Der Sport rückt wieder ein bisschen mehr in den Fokus.

Am Freitag, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, hat Eriksen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern die Mannschaft beim Training besucht. Für die Spieler war es der nächste von vielen so aufwühlenden Momenten der vergangenen Tage. "Christian hat sich gefreut, uns zu sehen, und wir haben uns sehr gefreut, ihn zu sehen", sagte Linksverteidiger Joakim Maehle: "Ich persönlich hatte das Bedürfnis, ihn zu berühren und zu sehen, nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben." Flügelspieler Andreas Skov Olsen sagte: "Jetzt haben wir auch mit eigenen Augen gesehen, dass er und seine Familie okay sind. Jetzt können wir uns noch besser auf Montag konzentrieren." Und Hjulmand sagte, es bestehe kein Zweifel daran, "dass jetzt im Team eine etwas andere Stimmung herrscht".

"Superheldenkräfte": Torwart Schmeichel lobt Kapitän Kjaer

Gegen Russland geht es nun ja trotz allem darum, das Potenzial wieder abzurufen: das eines ursprünglichen Geheimfavoriten. Ein Sieg mit einem anderen Ergebnis als einem 1:0, bei einer gleichzeitigen Niederlage von Finnland gegen Tabellenführer Belgien, würde sicher bedeuten, dass die Dänen als Tabellenzweiter das Achtelfinale erreichen. Auch als Tabellendritter könnten sie mit einem Sieg noch weiterkommen. Dass sie aber natürlich auch ausscheiden können, dass sie überhaupt noch keinen Punkt gewonnen haben bisher, das fühle sich "surreal" an, sagte Hjulmand.

Die erste Partie, das 0:1 gegen Finnland, war nach der Unterbrechung keines mehr, aus dem man große sportliche Schlüsse ziehen konnte. Hjulmand hat die Uefa bekanntlich kritisiert für die Art und Weise, in der die Entscheidung fürs Weiterspielen zustande kam. In der zweiten Partie, dem 1:2 gegen Belgien, schienen sie dann tatsächlich Kraft zu schöpfen aus den emotional und psychisch so anspruchsvollen Umständen, und aus dem Vorhaben, für Eriksen zu spielen, der sich zwei Tage zuvor mit erhobenem Daumen aus dem Krankenhaus gemeldet hatte.

Vor allem in der Anfangsphase wirkten die Dänen in ihren Sprints, in ihrem Pressing schier unaufhaltsam, angetrieben von den Zuschauern. Man habe es nicht gemerkt, dass es nur etwas mehr als 23 000 Fans waren, sagte Torhüter Kasper Schmeichel: Es habe sich angefühlt wie 100 000. Man brauche diese Unterstützung diesmal wieder, sagte Hjulmand: "Wir bereiten uns auf eine magische Nacht vor."

Die Belgier, einer der keineswegs geheimen Turnierfavoriten, erwiesen sich trotz des frühen Führungstors durch Yussuf Poulsen noch als zu stark. Nun treffen die Dänen zwar ebenfalls auf eine russische Mannschaft mit einigem Talent, aber gleichermaßen auf ein Team mit vergleichsweise wenig Tempo und einer eher simplen Spielidee. Und das Selbstvertrauen scheint riesig zu sein. "Wenn wir gegen Russland auf dem gleichen Niveau spielen wie gegen Belgien, werden wir gewinnen", sagte Mittelfeldspieler Pierre-Emile Höjbjerg."Für diese Mannschaft gibt es kein Limit", sagte Angreifer Martin Braithwaite.

Diese Mannschaft ist eine andere als mit Eriksen, ihrem bisweilen genialen Spielmacher, nicht nur emotional, sondern auch fußballerisch. Man sah das gegen Belgien schon an der Aufstellung, 3-4-3 statt 4-3-3. "Vieles haben wir gut gemacht", sagte Hjulmand, "besonders in der Defensive." In der Offensive fehlte es auch nicht an Ideen und Möglichkeiten. Alle Statistiken, sagte der Trainer, sähen so aus, dass Dänemark sechs Punkte auf dem Konto haben müsste.

Dänemark hat viele Begabte im Nationalteam

So unersetzlich Eriksen auch ist, so viele Begabungen gibt es doch auch außer ihm im Team. Torhüter Schmeichel ist einer der besten der Welt, Abwehrchef und Kapitän Simon Kjaer vom AC Mailand bildet mit Andreas Christensen vom FC Chelsea die Innenverteidigung, in einer Dreierkette kommt Jannik Vestergaard vom FC Southampton hinzu. Über Höjbjerg, Tottenham, kommt der Ball mit Tempo nach vorn. Dort spielt mit Leipzigs Poulsen immerhin in Braithwaite unter anderem ein Angreifer des FC Barcelona. Das alles folgt den Plänen des als Fachmann hochgeschätzten Hjulmand, einst Trainer bei Mainz 05.

Und dann gibt es natürlich noch jene Stärken, die in keiner Statistik stehen, in keiner Datenbank vermerkt sind und in keiner Vorbereitung zu üben waren, aber die sich in dieser Mannschaft in den vergangenen Tagen trotzdem mehr als alles andere gezeigt haben; die ihr die Sympathien der Zuschauer in ganz Europa zufliegen lassen, ganz egal, mit welchem Ergebnis dieses Turnier endet.

Schmeichel saß am Sonntag in der Pressekonferenz neben Kjaer, und der Torwart sollte den Kapitän beschreiben, Eriksens guten Freund, der auf dem Platz Erste Hilfe geleistet hatte. "Das erfordert Superheldenkräfte", sagte Schmeichel. Und Kjaer habe sich als ein Kapitän bewiesen, den sich Dänemark nicht besser wünschen könne. Auch weil er vorgelebt habe, dass es in Ordnung sei, seinen Schmerz nicht zu verbergen.

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