Süddeutsche Zeitung

Deutsche Meisterschaft:Harting enttäuscht - und provoziert

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Christoph Harting stampfte fluchend durch den Aufwärmbereich des Berliner Olympiastadions, versuchte irgendwie, noch einmal Spannung aufzubauen. Zwei ungültige Versuche standen da schon hinter seinem Namen auf der Anzeigetafel - und auch im dritten Anlauf trat der Diskuswurf-Olympiasieger über. Gerade einmal zwanzig Minuten dauerte es, dann war der Auftritt des Exzentrikers bei den deutschen Meisterschaften schon wieder vorüber.

Die Vorstellung erinnerte stark an das vergangene Jahr, als er als Favorit bei der Europameisterschafts-Qualifikation im gleichen Stadion keinen gültigen Versuch zustande brachte und kläglich ausschied. Hartings Auftritt am Samstag ist auch deshalb so erstaunlich, weil er in einem Interview mit der Berliner Zeitung noch ganz andere Töne anschlug: "Seit gefühlt 35 Jahren trägt kein anderer als ein Harting den Titel im Diskuswerfen", prahlte er dort. Solle den jetzt ein Martin Wierig oder ein David Wrobel kriegen, fragte der 29-Jährige rhetorisch. "Da sagt der Stolz: Ach, nein. Auf der anderen Seite sage ich mir: Ach, nehmt ihn euch doch, wenn es euch so wichtig ist. Es gibt wenig Unbedeutenderes als einen deutschen Meistertitel."

Harting ging sogar noch weiter und zog auch den Unmut des Deutschen Leichtathletik-Verbandes im Hinblick auf die anstehende Weltmeisterschaft auf sich: "Deutsche Meisterschaften sind immer der große letzte Nominierungswettkampf, wo der DLV sagt, ihr müsst hinfahren", beschwerte sich Harting. "Es ist die letzte Erpressungsmöglichkeit der deutschen Leichtathletik." Der DLV reagierte cool, Präsident Jürgen Kressing verwies darauf, dass man von Harting "schon manches Mal durchaus bemerkenswerte Verhaltensweisen erlebt" habe. In der Tat war es nicht der erste Aussetzer des Exzentrikers - nach seinem Olympiasieg in Rio de Janeiro vor zwei Jahren hatte Christoph Harting beim Abspielen der deutschen Nationalhymne die Arme verschränkt, geschunkelt und herumgealbert.

Bei all der Aufregung geriet der sportliche Wettkampf fast schon zur Nebensache. Am Ende gewann übrigens dann doch der Magdeburger Martin Wierig vor eben jenem David Wrobel und Torben Brandt - zum ersten Mal seit 2007 stand damit kein Harting-Bruder ganz oben auf dem Siegerpodest. "Es könnte mir nicht egaler sein", sagte der Geschlagene nach dem Wettkampf. "Es ist nur eine deutsche Meisterschaft - halb so wild."

Auch Kugelstoßer David Storl enttäuschte

"Für mich zählen nur Olympische Spiele", sagte er bereits vor der letztjährigen Europameisterschaft. Die Weltmeisterschaft in Doha in gut sechs Wochen gilt als Generalprobe für Olympia im kommenden Jahr - die geforderte Weite dafür warf er schon vor den deutschen Meisterschaften, könnte theoretisch also trotz des Totalausfalls von Berlin starten. Harting, den in dieser Saison immer wieder auch Rückenprobleme plagten, ließ seine Teilnahme in Katar aber trotzdem offen: "Ich bin aktuell in einer Position, in der ich sage: Eher weniger", meinte er.

Harting war aber nicht der einzige große deutsche Leichtathletik-Name, der an diesem Samstag enttäuschte: Nur wenige Meter neben dem Diskusring riss auch die Siegesserie von David Storl, der zuletzt acht Mal in Folge den Meistertitel im Kugelstoßen gewinnen konnte. Der Ex-Weltmeister verbesserte seine Saisonbestleistung zwar um drei Zentimeter auf 19,77 Meter, was schlussendlich für Platz drei reichte. Zur WM-Norm fehlt ihm aber trotzdem fast ein ganzer Meter, seine persönliche Bestleistung liegt bei 22,20 Meter. "Ich muss mich jetzt mit meinem Trainer zusammensetzen und schauen, was Sinn macht", sagte Storl nach dem Wettkampf. "Mit Ach und Krach 20,70 stoßen, da brauchst du nicht zur WM zu fahren." Deutscher Meister wurde der Jahresbeste Simon Bayer (Sindelfingen) mit 20,26 m. Damit hat bisher kein deutscher Kugelstoßer die WM-Norm erfüllt.

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SZ vom 04.08.2019 / SZ
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