Süddeutsche Zeitung

Trainer in der Champions League:Auf Zehenspitzen durch die Krawattenliga

Lesezeit: 6 min

Wie Champions-League-tauglich sind die Trainer der deutschen Klubs? Ein Check vor dem Start der Gruppenphase.

Von SZ-Autoren

Es ist noch nicht so lange her, dass ein Deutscher die Champions League gewann, ein paar Monate erst. Der Trainer Jürgen Klopp hat die Trophäe im Namen des FC Liverpool in die Höhe gerissen, oder vielleicht war es auch umgekehrt. Vielleicht siegte Liverpool auch im Namen des Jürgen Klopp - jedenfalls hat Klopp dort ein Team gebaut, das ihm in Leidenschaft und Intensität ähnlich sieht. Liverpools Triumph war ein Plädoyer für den Wert eines Trainers. Ob nicht nur ein deutscher Trainer, sondern auch ein deutscher Klub mal wieder die Champions League aufmischen kann, hängt also auch von deren Trainern ab. Sind die Trainer der deutschen Teilnehmer Champions-League-tauglich? Ein Check vor dem Start an diesem Dienstag.

Niko Kovac (FC Bayern)

Einmal hat Niko Kovac bereits Jürgen Klopp unvorbereitet getroffen. Klopp hat das sogar zugegeben, "wie der Ochs vorm Berg" sei er dagestanden, er konnte Kovac nur hilflos zuschauen. Das Problem für den Bayern-Trainer war jedoch, dass sich diese Szene nach dem Abpfiff zugetragen hatte. Er hatte nach dem Achtelfinal-Hinspiel in Liverpool erst allen Delegationsmitgliedern die Hand geschüttelt und nicht wie in England üblich erst dem gegnerischen Trainer. Der Trick, mit dem er Klopp erwischte hatte, war ein Trick, der dem Unwissen eines Lernenden geschuldet war.

Kovac hat das Achtelfinal-Aus gegen Liverpool im März bis heute nicht abschütteln können, es ist das Ereignis, auf das seine bald 15 Monate als Trainer des FC Bayern weiterhin reduziert werden. Kovac ist Meister und Pokalsieger geworden, er kann in der Liga noch so oft 6:0, 6:1, 5:0 gewinnen - ihm fehlt der Beweis, dass er auch international große Spiele lenken kann. (Wobei er mit seinem Team bisher auch nur ein einziges großes internationales Duell hatte, und das dummerweise gleich gegen den späteren Champions-League-Sieger.) Im Verein haben einige jedenfalls nicht vergessen, dass Kovac im Rückspiel gegen Liverpool arg defensiv gedacht hat, und dass diese Taktik nicht zum Anspruch der eigenen Spieler passte.

Kovac hat jedoch aus dem Duell gegen Klopp einiges mitgenommen. Seine stur defensive Herangehensweise hat er aufgeweicht; am Wochenende gegen Leipzig hatte er sogar Ideen für die Offensive vorbereitet, zum Beispiel den Seitentausch der Flügelstürmer Serge Gnabry und Kingsley Coman. Dass die Bayern mehrere Varianten in der Abwehr ausprobiert haben, dass Joshua Kimmich wiederholt im Mittelfeld gespielt hat, all das sehen sie im Klub als Anzeichen, dass ihr Trainer experimentierfreudiger wird.

Dennoch ist für Kovac mehr noch als in der vergangenen Saison die Champions League der Maßstab, sein zweites Jahr in München verengt sich für ihn auf die K.o.-Spiele im Frühjahr. Dann wollen die Bosse sehen, dass sich der spielerische Anspruch des Teams mit dem des Trainers deckt. Das Paradoxe für Kovac aber ist: Sollte dabei eine Halbfinal-Teilnahme herausspringen, wäre den Bossen eine stur defensive Herangehensweise fast noch lieber. Benedikt Warmbrunn

Lucien Favre (Borussia Dortmund)

Aus aktuellem Anlass hier ein paar Klischees: Niederländer haben Wohnwagen, Engländer legen Handtücher auf Strandliegen, Männer sind Schweine, Schiedsrichter pfeifen immer für Bayern. Und natürlich: Der Favre, der gewinnt nie was. Lucien Favre, 61, ist mit dem FC Zürich zweimal Schweizer Meister geworden, auch den Schweizer Pokal hat er zweimal gewonnen, aber sonst waren seine Auszeichnungen eher persönlicher Natur.

Er wurde immer wieder zum Trainer des Jahres gewählt, in seiner Schweizer Heimat ebenso wie in Deutschland, und sicher ganz besonders schmückend ist der Titel "Trainer der Hinrunde", den ihm im Winter 2013/14 der kicker verlieh, jenes berühmte Fachblatt, das die Deutschen auf ihre Strandliegen legen. Der Makel, mit dem Favre den BVB nun in die Champions League führt, ist der zweite Teil seines Images.

Der erste Teil hingegen ist schmeichelhaft, und das sehr zurecht. Favre gilt als berüchtigter Bessermacher, der selbst abgebrühte Langzeitprofis noch zum Staunen bringt, wenn er ihnen erklärt, bei welcher Art Ballannahme sie die Zehenspitzen und bei welcher die Ferse belasten sollen. Favre ist der genial-zerstreute Professor aus "Zurück in die Zukunft", und weil die Spieler ihn mögen und ihm glauben, hat er seine Teams immer wieder nah ans Limit oder darüber hinaus geführt (sogar bei Hertha BSC hat das funktioniert). Als Favre in Mönchengladbach war, wurde seiner Mannschaft der Kosename Borussia Barcelona verliehen, Favre hat das mindestens so gefreut wie eine Zehenspitzen-Ballannahme zur rechten Zeit. Favre liebt kultivierten Fußball, und so ist er auch am legendären Klopp-Standort in Dortmund keiner, der seine Spieler aggressiv anrennend von der Leine lässt.

Der echte FC Barcelona ist nun Dortmunds erster Gegner in der neuen Champions-League-Saison, in der Favre ein wenig gegen sein eigenes Naturell coachen muss. Der Coach, der kraft seines Temperaments eher als Bedenkenträger gilt, muss eine Elf unter Hochspannung halten, die begabt ist, aber Launen hat. Spieler wie Marco Reus wissen, wann sie Ferse und Zehenspitzen bemühen müssen, aber ausgerechnet Favre wird seine Künstler zu stabiler Wettbewerbshärte erziehen müssen. Gelingt ihm das, wird er sehr wahrscheinlich zum Trainer der Saison. Christof Kneer

Julian Nagelsmann (RB Leipzig)

In der ersten Hälfte des Topspiels am Samstag, als der FC Bayern von A bis Z überlegen war, kam es bei Leipzigs Großkopferten auf der Tribüne zum Taktikgeflüster: "Sag mal, sollte Julian nicht umstellen?", fragte Klubchef Oliver Mintzlaff laut eigener Schilderung den Ex-Trainer Ralf Rangnick. Antwort Rangnick: Ja, wäre besser! Darauf Mintzlaff: "Schau, Ralf, so ging's mir hier oben manchmal auch, als DU der Trainer warst. Da hab' ich auch manchmal gedacht: Warum stellst du nicht um?"

Der Trainer Julian Nagelsmann, der sein Abwarten später plausibel erklärt hat, stellte dann erst in der Pause mit Erfolg um, von Dreier-/Fünferabwehr auf Viererkette und ein verstärktes Mittelfeld, um Zugriff auf den Spielaufbau der Bayern zu kriegen. Es entstand ein völlig neues Spiel, das nach verdientem 0:1-Rückstand 1:1 endete. Für Nagelsmann war das ein kurioses Déjà-Vu-Erlebnis. Denn eines jener besagten Spiele in Leipzig, bei denen viele auf eine taktische Reaktion des Trainers Rangnicks gewartet hatten, liegt erst ein halbes Jahr zurück. Kurz vor der Pause stellte Rangnick damals von Dreier- auf Viererkette um, um Zugriff zu kriegen. Es entstand ein völlig neues Spiel, das nach verdientem 0:1-Rückstand 1:1 endete. Leipzigs Gegner hieß: Hoffenheim. Rangnicks Trainergegner hieß: Nagelsmann. Verrückt.

Jetzt startet jener Nagelsmann in sein erstes internationales Semester als Leipzig-Coach. Das Ziel steht fest: weiterkommen in der Gruppe mit Lissabon, St. Petersburg und Lyon! Auch Nagelsmanns Herangehensweise ist klar definiert. Er sieht sich als Nachfolger des erfolgreichen DNA-Begründers Rangnick in der Pflicht, sensibel eine Brücke zu schlagen zwischen altbewährtem RB-Fußball mit Pressing- und Umschaltfetisch - und eigenen Ballbesitzideen, die das Repertoire verfeinern sollen. Das klappt bisher gut, und Spagate beherrscht dieser Trainer-Rookie ja generell.

Nagelsmann, 32, ist auch ein Brückenbauer zwischen komplizierter und einfacher Fußballwelt. Er kann dieses Strategiespiel so hochtourig lehren und erörtern wie ein Prof. Dr. nerd. ("Mein Training beinhaltet Provokationsregeln und Überforderung der Spieler"). Er kann aber auch süffig reden wie der Jule vom Bolzplatzstammtisch - wie neulich, als er erklärt hat, warum Ballbesitz kein Teufelszeug ist: "Jeder spielt doch deshalb Fußball, weil er die Murmel am Fuß haben will." Klingt nach einem prima Plan für die Reifeprüfung in Europas Krawattenliga. Moritz Kielbassa

Peter Bosz (Bayer Leverkusen)

Das 0:4 in Dortmund hat in Leverkusen die verflixten alten Selbstzweifel wachgerufen. Seit dem vorigen Jahrhundert wird das Spieler-Personal mit dem im Kern stets gleichen Vorwurf konfrontiert: Ist Bayer bloß ein Schönwetter-Spitzenteam? Jenseits der tagesaktuellen Umstände, die zur Niederlage beim BVB geführt hatten, kam Torwart Lukas Hradecky mit fatalistischen Untertönen auf das altbekannte Syndrom zu sprechen: "Wenn du top sein willst, musst du auch mal diese Topspiele gewinnen." Trainer unterschiedlichster Herkunft und Natur haben sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Was Christoph Daum vor 20 Jahren beschäftigte, stellt nun auch für Peter Bosz eine Herausforderung dar. Bisher hat der Trainer mit seiner offensiven Spielidee viel Anklang gefunden, zumal ihm bei Bayer ein Team zur Verfügung steht, das seine Vorliebe für Angriffsfußball erwidert. Aber taugt sein Stil unter Ernstfallbedingungen?

Zum Start bekommt es Bayer mit Lokomotive Moskau zu tun. In einer Gruppe mit den logischen Favoriten Juventus Turin und Atlético Madrid ist der russische Vizemeister logischer Außenseiter, während Bayer immerhin chancenreicher Außenseiter sein darf. "Das ist eine hochattraktive, aber auch extrem schwere Gruppe", stellte Sportchef Rudi Völler fest. Diese Ausgangslage macht die Partie für die Leverkusener zum Topspiel der speziellen Art. Es geht, wie der Bayer-04-Pate Reiner Calmund sagen würde, um die "big points".

Einerseits ist zwar nur der erklärte Außenseiter zu Besuch, andererseits bildet die Champions League den besonderen Rahmen. Alles andere als ein Heimsieg würde wieder als Symptom der Bayer-Krankheit gedeutet werden. Dann wäre auf einmal auch Bosz mittendrin in der alten, ungeliebten Debatte. In den ersten acht Monaten seines Engagements im Rheinland ist Peter Bosz mit seiner Arbeit gut vorangekommen, aber die nächste Aufgabe dürfte dem Trainer wohl den Weg für die folgenden Monate weisen. Philipp Selldorf

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4603257
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.