Süddeutsche Zeitung

Champions League:Manchester Citys Krötenwanderung nach Madrid

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Von Sven Haist, Madrid

Zinédine Zidane räumte am Seitenrand herumliegende Gegenstände in eine Sporttasche, die er sich über die Schultern hing. Es war Schluss im Estadio Bernabeu, die Menge toste, aus der Distanz verfolgte der Trainer die Feierlichkeiten seiner Profis mit den Fans. Bis auf Cristiano Ronaldo hatten sich die Spieler weiße Shirts über ihre Trikots gezogen mit dem Zeichen der Final-Teilnahme. Aus den Boxen des Bernabeu dröhnt die Eloge "Vorwärts Madrid...und sonst nichts" des Künstlers Red One.

Die "Decima"-Hymne steht für die die zehn Triumphe im Europapokal, aber es könnte sein, dass sie am 28. Mai neu geschrieben werden muss. In Mailand trifft Real Madrid in einer Neuauflage des Champions-League-Finals von 2014 auf den Stadtrivalen Atlético. Mit 4:1 nach Verlängerung hatte Real den Nachbarn damals klein gehalten. "Ich träume davon, la 'Undecima' zu gewinnen", sagte Zidane.

Vor den Stadiontoren hatten Tausende Real-Fans vor dem Spiel den Mannschaftsbus empfangen. Die Szenerie erinnerte an eine Bergetappe der Tour de France. Nachdem Atlético es geschafft hatte, wäre ein Ausscheiden Reals eine Schmach gewesen.

Zidane, erst seit vier Monaten dabei, kann nun in die Liste der 15 Personen aufgenommen zu werden, die den Europapokal als Trainer und Spieler gewonnen haben. Unvergessen ist Zidanes Volleyschuss zum 2:1 im Finale 2002 gegen Bayer Leverkusen.

Von einem Traumtor war das Halbfinale zwischen Real und Manchester City weit entfernt. Nachdem City beim 0:0 im Hinspiel ganz auf einen Torschuss verzichtet hatte, traf Fernandinho am Mittwochabend immerhin den Außenpfosten und Fernando ins eigene Tor. Das 0:1 blieb der einzige Treffer in 180 Spielminuten. "Wir verdienen es nicht, dieses Spiel zu verlieren", klagte Citys Trainer Manuel Pellegrini. Schließlich hätten beide Teams gleich wenige Chancen gehabt. Die Statistikabteilung wies ein Torschussverhältnis von 15:4 für die Madrilenen aus, aber da müsse sich einer verzählt haben, entgegnete Pellegrini.

Dabei ist das Ausscheiden in der Champions League für Manchester City eine Wohltat. In den grellgrün leuchtenden Trikots kam der Auftritt der Spieler einer Krötenwanderung gleich. Sie hinterließen den Eindruck, gezwungen worden zu sein, erstmals in der Vereinshistorie in Madrid anzutreten. Hätte Real ein wenig mehr Mut zur Offensive gezeigt, Citys Kröten wären von einer Torflut überfahren worden.

Vielleicht solidarisierte sich die Mannschaft auch mit ihren Fans. Die Sanktionen des europäischen Fußballverbandes gegen ManCity aufgrund von Missachtung des Financial Fairplay in der Vergangenheit hat das Verhältnis zwischen den ihnen und dem Wettbewerb geschädigt. Die Sternenhymne geht bei Heimspielen in einer Flut an Pfiffen unter.

Etwa 3900 "Mancunians" waren in die spanische Hauptstadt gereist und verbrachten die meiste Zeit mit alkoholischen Getränken in den Tapas-Bars rund um den Plaza Mayor. Am Vorabend hatten sie sich eingesungen, während sie symbolträchtig die Fans von Atlético auf deren Weg ins Finale unterstützt hatten. Gemeinsam hatten sie am Neptunbrunnen gefeiert. Häufig war die Liedzeile "Blue Moon - we are standing alone" zu hören, und einen Tag später standen die Gäste-Fans nach dem Spiel tatsächlich alleine da. Hängen gelassen von einer Mannschaft, die es kaum für nötig hielt, sich für die Unterstützung zu bedanken.

Begonnen hatte das Trauma schon vor Anpfiff, als Pellegrini die körperliche Naturgewalt Yaya Touré in die Startformation berief, in der Hoffnung der Ivorer würde noch einmal aus seiner Lethargie erwachen. Der Kopf von Touré besitzt Spielzüge, die Real in der Theorie Probleme bereiten könnte, aber nach diversen Verletzungen kann sein Körper die Ideen nicht mehr umsetzen. Seine mangelnde Arbeitsethik schläferte die Mitspieler ein.

Bei der Auswechslung machte Touré einen Bogen um seinen Trainer, der ihm auch noch die Hand entgegenstreckte. Es ist Pellegrini, der bald von Bayern-Trainer Pep Guardiola abgelöst wird, hoch anzurechnen, dass er in seinen Abschiedswochen alle Demütigungen über sich ergehen lässt, um den Klub nicht über die Hintertüre verlassen zu müssen. Die schnelle Verletzung von Kapitän Vincent Kompany tat ihr Übriges. Und dann lag Pellegrini wiederholt daneben, Kevin de Bruyne während des Spiels wie eine Schachfigur auf unterschiedliche Positionen zu ziehen. Nur in der offensiven Zentrale, da wo De Bruyne am stärksten ist, durfte er nicht auflaufen.

In der Nachspielzeit bei Ballbesitz Manchester stand Torhüter Joe Hart im eigenen Fünfmeterraum, die Mittelfeldspieler drängelten sich an der Mittellinie mit den Abwehrspielern und der einzige Angreifer Sergio Agüero ließ sich aus der Sturmspitze zurück fallen, um sich den Ball zuspielen zu lassen. Niemand lief in die Nähe des Madrider Tores. Dieses Standbild war der Abgesang auf Manchester City. Wohlgemerkt hätte ein Treffer gereicht, um ins Finale einzuziehen.

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