Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Der Jubel der zweiten Garde

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Von Javier Cáceres, Berlin

In einem überragend seltsamen und qualitativ nur schwerlich verdaulichen Spiel hat der SV Werder Bremen am Samstag beim Aufsteiger Union Berlin seinen zweiten Saisonsieg erzielt. Obschon sie wegen einer sagenhaften Verletzungsmisere mit einer Art zweiten Mannschaft antraten, gewannen die Hanseaten durch Tore von Davy Klaasen und Niclas Füllkrug mit 2:1. Für den zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer hatte Unions schwedischer Stürmer Sebastian Andersson gesorgt.

Der große Protagonist der Partie aber war Schiedsrichter Tobias Welz, der an allen entscheidenden Situationen beteiligt war - und in der Schlussphase der Partie Neven Subotic von Union Berlin und Nuri Sahin jeweils per gelb-roter Karte vom Platz stellte. Das war per se nicht das größte Problem. Es war nur vielmehr so, dass der Referee wie eine Figur aus der Vorstellungswelt des Carlo Collidi wirkte - jenes italienischen Autors, der die Geschichte von Pinocchio ersann. Denn bei den entscheidenden Szenen musste - oder wollte - Schiedsrichter Welz an imaginären Schnüren gezogen werden. Es war, als habe er kaum eine Entscheidung selbst getroffen.

Der Ton war - oder VAR? - gesetzt, als im Stadion An der Alten Försterei kaum mehr als eine Minute gespielt war. Nach einer missratenen Brust-Rückgabe von Union- Verteidiger Christopher Lenz kam Werders Kapitän im Strafraum zu Fall. Welz deutete auf den Punkt - und wurde vom Videoschiedsrichter VAR an den Schirm beordert, aus nachvollziehbaren Zweifeln an seiner Entscheidung. Gleichwohl blieb Welz firm, Klaasen verwandelte zur 1:0-Führung für die Gäste.

Den letzten Akkord sichert sich Referee Welz

In der 14. Minute wurde Welz wieder vom Videoschiedsrichter angefunkt - diesmal, weil ihm signalisiert wurde, dass er ein Handspiel von Bremens Verteidiger Christian Gross übersehen hatte - er kam als 30-jähriger zu seinem Bundesligadebüt. Nach Ansicht der TV-Bilder rang sich Welz zu einem Strafstoß durch, den Andersson verwandelte. Kurz danach kam es dann zu einer weiteren umstrittenen Szene, als ein Unioner den Ball im Strafraum den Ball an die Hand bekam. Diesmal unterließ aber es der Schiedsrichter, an die Seitenlinie herauszugehen, um die Aufzeichnung zu konsultieren - diese freilich legten nahe, dass das die eindeutigste Elfmeterszene der ersten Halbzeit gewesen war.

Dass sich hernach nur wenig entwickelte, was man Spielfluss nennen konnte, zählte zu den Geschehnissen, die nicht in Welz' Verantwortung lagen - wobei Werder ballsicherer und -interessierter wirkte. Vor allem wegen der Umsicht von Nuri Sahin und dem Impetus von Klaassen. Viel mehr als ein Fernschuss durch Yuya Oasko (25.) und eine Gelegenheit für den auffälligen Werder-Debütanten Leonardo Bittencourt kurz vor der Pause sprang allerdings nicht heraus.

Nach dem Seitenwechsel gehörte die erste Szene wieder dem Schiedsrichter. Dem Augenschein nach musste er sich bei einem Zweikampf im Berliner Strafraum auf einen Zuruf von Dritten verlassen; Werders Verteidiger Theodor Gebre Selassie war beim Schussversuch von Christopher Trimmel gehalten worden. Erst mit bemerkenswert langer Verzögerung entschied Welz auf Strafstoß, auf Betreiben des Linienrichters oder des VAR. Diesmal scheiterte Klaasen allerdings an Gikiewicz. Zum 2:1-Endstand kam es dennoch: Die folgende, von Sahin getretene Ecke nutzte Werders Zugang Niclas Füllkrug zu seinem zweiten Saisontreffer (55.), indem er den Ball per Kopf ins Netz der Berliner wuchtete.

Auch danach gab es nur wenig zu sehen, was man fußballerisch erbaulich nennen konnte - kurios war allenfalls, dass der alte Stürmer Claudio Pizarro eingewechselt und auf die Position des Sechsers beordert wurde. Union drängte viel zu spät auf den Ausgleich; der eingewechselte Stürmer Polter hatte in der Schlussphase noch die beste Gelegenheit. Den letzten Akkord aber sicherte sich, dem Spiel entsprechend, Schiedsrichter Welz. Erst schickte er Subotic für einen Rempler an Bittencourt vom Feld, Werders Trainer Kohfledt sah Gelb, weil er die Coaching-Zone verließ. "Da wird ein Spieler von mir drei Meter vor mir in die Bande gerammt. Die ganze Bank springt auf, und ich kriege dann Gelb. Mit den Worten: Ich gebe dem Spieler jetzt Gelb-Rot, deshalb gebe ich Ihnen Gelb. Da muss ich mich leider kaputtlachen", kommentierte Kohfeldt später.

Sahin wurde dann ebenfalls per Gelb-Rot in die Kabine geschickt, weil der Schiedsrichter ihm unterstellte, er habe auf Zeit spielen wollen. Sahin hatte einen Freistoß ausgeführt, der von Welz nicht freigegeben worden war. Nun wird er den Bremern gegen Leipzig fehlen, in personell dramatisch angespannter Lage. "Im Hintergrund trainieren Tim Borowski, Clemens Fritz und Frank Baumann schon wieder. Ich sehe es schon vor mir: The Avengers", witzelte Kohfeldt.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2019
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