Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Was Werder mit Pizarro vorhat

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Von Sebastian Fischer, München

Am 3. Oktober wird Claudio Pizarro 40 Jahre alt, und bislang hatte man gedacht, das könnte ein rauschendes Fest werden, nach dem die Gäste verkatert aufwachen. Man hatte sich Bilder vorgestellt, wie ein Fußballer im verdienten Ruhestand in einer Bar sitzt, umringt von Freunden, allürenfrei, und mit etwas anstößt, das nicht Mineralwasser ist. Oder, mit etwas mehr Fantasie: Pizarro, wie er auf einem Pferd wie ein alter Cowboy dem Sonnenuntergang entgegen reitet. Er besitzt ja einen eigenen Rennstall, einen Galopper hat er "Don Jupp" genannt, nach Josef Heynckes, einem seiner liebsten der zahlreichen Trainer seiner langen Karriere.

Doch es kommt nun anders. Pizarro, sechsmaliger deutscher Meister, 446-maliger Bundesligaspieler, 192-maliger und damit fünftbester Torschütze der Ligageschichte (und bester ausländischer Torschütze) sowie landesweit bekanntester und beliebtester Peruaner und bekennender Freund des schönen Lebens, spielt weiter. Sein 40. Geburtstag fällt in eine Woche zwischen einem Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart und einem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg. Er wechselt zum fünften Mal in seiner Laufbahn zu Werder Bremen. Und das ist schon jetzt eine der besten Transfergeschichten des Sommers.

"Er ist wieder da", so gab Werder am Sonntag Pizarros Verpflichtung bekannt. 1999, vor 19 Jahren, war er von Allianza Lima erstmals nach Europa und nach Bremen gewechselt, 2008 als Leihspieler aus London vom FC Chelsea zurückgekehrt, 2009 erneut. 2015 holte ihn Werder, nachdem er zuvor zum zweiten Mal beim FC Bayern gespielt hatte. Und nun kommt er nach einer enttäuschenden Saison beim 1. FC Köln, die viele für seine letzte hielten. In der Sommerpause hielt er sich bislang mit Hilfe von Fitnesstrainer Yann-Benjamin Kugel auf Mallorca und in Garmisch-Partenkirchen fit, dokumentiert mit Fotos in den sozialen Netzwerken. "Das ist genial für mich. Und das Beste, was ich tun kann. Ich fühle mich wieder wie zu Hause", sagte Pizarro dem Vereinssender Werder-TV.

Werders zweiter Transfer-Coup: Davy Klaasen kommt aus Everton - und trifft sofort

Einerseits ist der Transfer sportlich zu erklären. Bremen hat in diesem Sommer die Schlüsselspieler Thomas Delaney und Zlatko Junuzovic im Mittelfeld verloren, dazu den wuchtigen Angreifer Ishak Belfodil. Als Ersatz für Delaney, der für rund 20 Millionen Euro zu Borussia Dortmund ging, hat Werder erst am Freitag den Niederländer Davy Klaassen vom FC Everton verpflichtet, für die Bremer Rekordsumme von rund 13,5 Millionen Euro. Im ersten Testspiel gegen Bielefeld erzielte er gleich am Freitag sein erstes Tor. Als spielstarke Angreifer kamen bereits Yuya Osako aus Köln und, ebenfalls ein Rückkehrer, Martin Harnik aus Hannover. In der Analyse ihres Kaders haben sie gewusst, dass ihnen noch ein physisch starker Angreifer fehlte, ein klassischer Neuner, der Bälle hält, "festmacht", wie es in der Fußballsprache heißt; den man in der Schlussphase als sogenannten "Brecher" einwechseln kann. Mittelstürmer Aron Johannsson fällt verletzt noch monatelang aus.

Pizarro, der ablösefrei wechselt und angeblich einen Einjahresvertrag mit eher geringem, leistungsbezogenem Gehalt unterschrieb, hat in der Kölner Abstiegssaison zwar nicht unbedingt für sich geworben. Dem FC half er kaum, er lief wenig, traf nur einmal. Doch es lag aus Bremer Sicht trotzdem nahe, bei Fitnesstrainer Kugel nachzufragen, einst unter anderem bei Werder angestellt. Auf den Bildern - Pizarro beim Sprint mit einem Deuserband um die Hüfte, Pizarro beim Torschuss - sieht er erstaunlich fit aus. Keine Spur von einem leichten Bauchansatz, den er zwischenzeitlich mit Würde trug. "Ich hatte nur eine kleine Vorbereitung und bin eher bei 60 als bei 100 Prozent", sagt Pizarro. "Claudio weiß, dass er nicht zwangsläufig ein Startelf-Kandidat sein wird. Aber er wird seine Momente in dieser Saison bekommen", sagt Trainer Florian Kohfeldt, 35 Jahre alt und damit vier Jahre jünger als Pizarro. "Wir sind der Meinung, dass wir den Spagat schaffen, Claudios Fähigkeiten zu nutzen, ohne dass wir unsere jungen Spieler in ihrer Entwicklung blockieren", glaubt Geschäftsführer Frank Baumann.

Emotional ist der Transfer noch etwas besser nachzuvollziehen als rational. Als Pizarro Bremen 2017 verließ, da ging er verstimmt, Trainer Alexander Nouri hatte sich gegen eine Vertragsverlängerung mit ihm ausgesprochen. Als Pizarro in der vergangenen Saison mit Köln in Bremen zu Gast war und 1:3 verlor, riefen die Zuschauer immer wieder seinen Namen, er wirkte gerührt und sagte: "Ich liebe den Verein, die lieben mich." 104 seiner 192 Ligatore hat Pizarro für Werder geschossen, er ist der Rekordschütze des Klubs. Zwar plant er, das hat er jüngst erzählt, nach seiner Karriere nach München zurückzuziehen. Es ist trotzdem davon auszugehen, dass sie bei Werder demnächst überlegen, wie sie Pizarro für eine Zukunft nach dem Fußball im Klub gewinnen können.

Ein Problem könnte allerdings sein, dass Claudio Pizarro auch 2019 noch viel zu viel Lust hat weiterzuspielen. Und wer will ihn schon davon abhalten?

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Quelle:
SZ vom 30.07.2018
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