Süddeutsche Zeitung

Erfolg von Union Berlin:Mit Disziplin, Charme und Methode

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Union Berlin macht dem SC Freiburg Konkurrenz als alternativer Vorzeigeklub des deutschen Fußballs. Das Prinzip ist ähnlich: Der Manager findet preiswert Spieler, die der Trainer erstaunlich besser macht - und jeder einzelne bleibt ersetzbar.

Kommentar von Philipp Selldorf

Oliver Ruhnert hat am Samstag in Gelsenkirchen zu vielen Leuten "Hallo" und "Wie geht's?" gesagt, die das in dieser erlesenen Freundlichkeit nicht unbedingt von ihm gewohnt waren. Zehn Jahre lang hatte Ruhnert, 50, einst auf Schalke gearbeitet und sich dabei besonders als Chef der ergiebigen und profitablen Nachwuchsabteilung des Klubs hervorgetan. Die Trennung im Sommer 2017 erfolgte abrupt und im Unfrieden. Der Schalker Fußball wurde damals vom Manager Christian Heidel organisiert, Ruhnert machte einen Schritt zurück in sein früheres Metier und ließ sich beim Zweitligisten Union Berlin als Chefscout anstellen. Ein Jahr später rückte er in der Hauptstadt zum Sport-Geschäftsführer auf und engagierte den Schweizer Urs Fischer als Trainer der Profimannschaft.

Diese Vorgeschichte bildete nun, wie Kenner meinten, den Hintergrund für Ruhnerts Auftreten vor den früheren Kollegen. Sein Beileid für die geschlagenen Schalker kam von Herzen - ein bisschen aber auch von oben herab: Das Ergebnis, 6:1 für Union, sei, fand Ruhnert, "am Ende brutal: Wir haben sechsmal aufs Tor geschossen, sechsmal war er drin". Die relativierende Analyse ließ wenig Zweifel daran, dass er in diesem Moment trotzdem mächtig stolz darauf war, wie sich alles entwickelt hat in den vergangenen fünf Jahren: ohne ihn in Gelsenkirchen, mit ihm in Köpenick. Und was soll man sagen? Wäre Ruhnert darauf nicht stolz, würde er die Demut des Bettelmönchs in sich tragen.

Während Schalke 04 nach vier Spieltagen den erwarteten Rang im unteren Tabellendrittel bezieht, sieht Union Berlin jetzt am kommenden Samstag dem Duell mit der einzigen Mannschaft entgegen, die in der Hierarchie aktuell noch über ihr steht. Und am FC Bayern ziehen sie dann am nächsten Wochenende womöglich auch noch vorbei, wundern würde das so recht niemanden mehr.

Oft, wenn Union Spiele gewinnt, sieht es wie Wettkampfglück aus - es ist aber keines

Selbstredend fiel auf Seiten der Berliner der Pflichtbegriff "Momentaufnahme", aber es ist ein Moment, den der Manager Ruhnert und der Trainer Fischer in den gemeinsamen vier Jahren mit sauerländischer Beharrlichkeit und schweizerischer Präzision gezielt hergestellt haben. Auf den ersten Blick beruht der Berliner Fußball auf paramilitärischen Tugenden: auf Disziplin, auf Robustheit und Austauschbarkeit jedes Einzelnen auf dem Platz.

Der Charme besteht darin, dass Ruhnert, Fischer und die manchmal renitente Vereinsgemeinschaft drauf und dran sind, dem SC Freiburg als alternativer Vorzeigeklub Konkurrenz zu machen. Die Freiburger haben als Nischenverein Karriere gemacht und gehören inzwischen der deutschen Oberklasse an - der Berliner Stadtteilklub befindet sich gerade auf einem ähnlichen Weg. Das Prinzip ist jedenfalls vergleichbar: Der Manager findet preiswert die Spieler, die der Trainer besser und wertvoller macht.

Dass etwa Sheraldo Becker, am Samstag Doppeltorschütze, so eine prägende Figur im Union-Angriff werden könnte, das konnte nach seinen ersten beiden Berliner Jahren keiner, Becker inbegriffen, ahnen. Dahinter steckt wohl das gleiche Rezept wie hinter den sechs Toren am Samstag: Union Berlin lässt es aussehen wie Wettkampfglück - in Wahrheit ist es Methode.

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