Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Ungustl Stranzl geht unter Tränen

Lesezeit: 3 min

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der Fußballer Martin Stranzl war in letzter Zeit häufig nicht mehr er selbst. Zuvor war er in der Abwehr von Borussia Mönchengladbach fünf Jahre lang einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga. Dann brach er sich im vergangenen Herbst den Augenhöhlenboden, und nachdem er sich mühsam zurück in Form gekämpft hatte, war sein Stammplatz unter dem neuen Borussen-Trainer André Schubert anderweitig vergeben. Stranzl ist 35 Jahre alt, sein Nachfolger Andreas Christensen ist 19. Momentan kuriert Stranzl einen Muskelfaserriss aus.

Unter all diesen Sorgen und Unwägbarkeiten, sagt der Österreicher, sei er bisweilen grantig geworden - "ein Ungustl, wie man in Österreich sagt". Das klingt lustig, aber als er es erzählte, brach ihm am Dienstag die Stimme. Stranzl hatte Tränen in den Augen, als er ankündigte, im Mai seine Karriere nach fast 20 Jahren zu beschließen. Darüber ist auch der Mönchengladbacher Sportdirektor traurig: "Schade, dass er schon aufhört", sagt Max Eberl. Und das ist mehr als Höflichkeit, denn Eberl weiß: "Wir könnten ihn noch gut gebrauchen."

Die Renaissance des Traditionsvereins Borussia Mönchengladbach ist eng mit Stranzl verbunden. Alle denken bei den Erfolgen der vergangenen fünf Jahre an den Schweizer Trainer Lucien Favre. Aber der Österreicher Stranzl spielte in Favres Konzept die vielleicht wichtigste Rolle. Er war Innenverteidiger und Kapitän. Wenn Favre das Gehirn der Borussia war, dann war Stranzl das Rückgrat.

Wie sehr die beiden die Stabilität der Mannschaft geprägt haben, wird eigentlich erst deutlich, seit sie nicht mehr dabei sind. Unter Trainer Schubert kassierten die Gladbacher in 20 Ligaspielen seit September im Schnitt 1,5 Gegentreffer pro Partie - unter Favre waren es nur 1,06. Wenn Stranzl mitspielte (116 Mal), waren es sogar bloß 1,04.

Um zu verdeutlichen, wie lange Stranzl schon Fußballprofi ist, lohnt sich ein Blick auf seine Teamkollegen des TSV 1860 München am 1. Mai 1999: Als er in der 90. Minute für Ned Zelic eingewechselt wurde, spielten für die Löwen Leute wie Marco Kurz, Bernd Hobsch oder Gerald Vanenburg. Trainer war Werner Lorant. So lange ist Stranzls Bundesliga-Debüt schon her. Es ist, als blickte man in ein altes Fotoalbum. Der junge Stranzl sah mit seinen zurückgegelten Haaren ein bisschen aus wie der Wiener Sänger Falco.

466 Pflichtspiele für 1860, den VfB Stuttgart, Spartak Moskau und Mönchengladbach hat Stranzl seither gemacht. Anfang 2011 hatte Eberl ihn aus Moskau geholt. "Wir brauchten den alten Mann damals für den Abstiegskampf", sagt der Borussen-Manager. Mit Stranzl und Favre spielte sich Gladbach aus den Niederungen der Tabelle hoch bis in die Champions League.

Die mit dem Routinier so stabile Defensive war dafür maßgeblich. 2012 hatte Gladbach am Saisonende nur 24 Gegentreffer kassiert, 2015 nach einer ganzen Saison nur 26. Von solchen Werten sind die Borussen mit ihren heutigen 42 Gegentoren in bislang 25 Saisonspielen weit entfernt.

Unter Schubert steht die Mannschaft höher im Feld und versucht schneller vors gegnerische Tor zu kommen. Rückwärtsbewegung und Chancenvereitelung sind dabei zum Manko geworden. Ob Stranzl dabei noch helfen könnte, ist spekulativ. Eberl denkt: warum nicht? Schubert denkt: nein!

Er zieht dem Routinier Stranzl 19-jährige Burschen wie Christensen oder Nico Elvedi vor. Stranzl hat das mittlerweile akzeptiert. 71 Minuten hat er in dieser Saison erst gespielt: "Ich werde bis zum Saisonende alles versuchen, um noch einmal auf dem Platz zu stehen", sagt er.

Heim nach Österreich zieht es den 56-maligen Nationalspieler vorerst nicht. Die Stranzls bleiben in Meerbusch-Büderich bei Düsseldorf wohnen, auch weil der Sohn Elias, 8, beim FC Büderich spielt und Profi werden will. "Dazu gibt es im Rheinland mehr Möglichkeiten", sagt Stranzl und kann sich selbst gut vorstellen, bei der Borussia eine Tätigkeit zu übernehmen.

Den Sportchef Eberl freut's. Er lobt Stranzl als Menschen - und Fußballexperten: "Wir haben in den letzten Jahren über Marco Reus, über Dante und Marc-André ter Stegen gesprochen", zählt Eberl Gladbachs vermeintlich größte Verluste auf, "aber Stranzl hat sie alle dorthin gebracht, wo sie heute stehen."

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SZ vom 09.03.2016
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