Süddeutsche Zeitung

Bundesliga-Spitzenspiel:Bayern zerlegt Dortmund mit weiten Bällen

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Aus dem Stadion von Claudio Catuogno, München

Zehn Minuten waren erst vorbei in diesem Spitzenspiel des Ersten gegen den Zweiten, da stand Pep Guardiola schon an der Seitenlinie und gestikulierte, als wolle er einem A380 seine endgültige Parkposition zuweisen. Das rhythmische Gefuchtel galt den Abwehrspielern Jérôme Boateng und Javier Martínez, die beiden sollten ihre Rollen tauschen. Martínez war bisher der Pilot gewesen in der Dreierreihe des FC Bayern, Boateng quasi sein Co-Pilot auf der rechten Seite. Nun wollte Pep Guardiola, dass Boateng anstelle von Martínez in die Mitte rückt.

Es bedarf auf jeden Fall noch weitergehender empirischer Studien, um herauszufinden, warum der Trainer Guardiola oft tagelang die vermeintlich absturzsichere Taktik austüftelt, um sie dann ebenso regelmäßig nach zehn Minuten wieder über den Haufen zu werfen. Und manch einer wird sich vielleicht fragen: Boateng, Martínez, ist das nicht in etwa so egal, wer von beiden nun zentral und wer rechts spielt, wie es unerheblich ist, ob die Blaskapelle in der Arena am letzten Wiesn-Spieltag nun ein Humba oder ein Täterä von sich gibt?

Boateng schlägt den weiten Pass

Nun, keine Minute später schlug Boateng aus der Deckungszentrale einen weiten, weiten, weiten Ball - die Spieleröffnung ist eine der unbestrittenen Qualitäten des Nationalspielers Boateng. Thomas Müller legte den Ball akrobatisch am herauseilenden Dortmunder Torwart Roman Bürki vorbei - Akrobatik ist eine der unbestrittenen Qualitäten des Nationalspielers Müller. Und dann schob Müller die Kugel ins leere Tor.

1:0 stand es für den Tabellenersten FC Bayern gegen den Tabellenzweiten Borussia Dortmund. Und weil es so schön war - schön nur aus Münchner Sicht -, schlug Boateng kurz nach der Pause noch einen weiten, weiten, weiten Ball hinterher. Diesmal sprang Bürki von sich aus daran vorbei, Robert Lewandowski musste nur noch einschießen aus kürzester Distanz.

Dies war bereits das 3:1 in einer jederzeit sehenswerten Partie, zwischendurch hatten erneut Müller (35. Foulelf- meter) und Pierre-Emerick Aubameyang (36.) getroffen. Und am Ende gewann der FC Bayern sogar mit 5:1 (2:1).

Eine Guardiola-Rochade nach zehn Minuten: Das war nur ein Zeichen von vielen dafür, dass von diesem Abend mehr zu erwarten war als die übliche Gewinner-Routine der Münchner sowie ein, zwei oder fünf Tore von Robert Lewandowski. Dass nun aber der Abwehrmann Boateng ausgerechnet im Stile eines Quarterback die deutsche Meisterschaft entscheidet (oder erwartet ernsthaft jemand, dass die Bayern ihren Sieben-Punkte-Vorsprung noch verdaddeln bei dieser Qualität?) - das hat dann wohl auch Guardiola so nicht vorhergesehen.

Eine gewisse Ironie birgt es jedenfalls in sich, wenn man die Vorliebe des Trainers für Ballbesitz und gepflegtes Passspiel kennt - und wenn man weiß, dass der sogenannte lange Ball ein beliebtes Stilmittel aus der Klopp-Ära des BVB war.

Dass Guardiola den BVB-Trainer Thomas Tuchel überrascht hat mit seiner Taktik - ein dicht gestaffeltes Fünfer-Mittelfeld vor besagter Dreierkette - darf man ausschließen. Erstens hat Guardiola schon mehrmals gegen den Rivalen so gewonnen: bei seinem Liga-Debüt in Dortmund im November 2013 (3:0) mit Hilfe von langen Bällen, im DFB-Pokalfinale 2014 (2:0 n.V.) mit einer Dreierkette.

Und zweitens hat Guardiola diesen ebenfalls zum Fuchteln veranlagten Tuchel während dessen Auszeit ja so tief in sein katalanisches Trainerhirn blicken lassen wie kaum einen Fremden sonst: Zwei Mal wurden die beiden gesehen, wie sie an wechselnden Orten der Münchner Nobelgastronomie Spielszenen nachstellten.

Doch bei aller Zuspitzung auf die Trainer: Zunächst einmal musste dieser Abend ja zeigen, ob die unter Tuchel bis zu diesem Spiel noch unbesiegten Dortmunder schon wieder so weit sind, den Münchnern ernsthaft Paroli zu bieten. Nachdem sich für das Duell der Champions-League-Finalisten von 2013 der Begriff des deutschen "Clásico" etabliert hatte (in Anlehnung an die Dauerrivalität des FC Barcelona mit Real Madrid), haben die Dortmunder ja eine Pannen-Saison hinter sich gebracht, die sie den Trainer Klopp und die Champions-League-Zulassung gekostet hat.

Auch Mario Götze trifft

Und nun? Unter Tuchel? Begannen sie gut gestaffelt, machten die Räume dicht, kamen aus dem Umschaltspiel heraus zu besten Gelegenheiten wie bei Aubameyangs Anschlusstreffer, als Castro über rechts vorlegte. Doch dann wurden bereits durch einen Tritt von Mkhitaryan gegen Thiagos Knie und den folgenden Strafstoß alle Pläne über den Haufen geworfen.

Was noch? Tuchel brachte Reus und Januzaj für Kagawa und Castro. Mario Götze vergab aus kürzester Distanz (55.) - bediente kurz darauf aber perfekt Lewandowski - 4:1 (58.). Und dann traf Götze auch noch selbst (66.) - die Dortmunder hatten das Verteidigen weitgehend eingestellt. Nach dem Abpfiff verschwand Thomas Tuchel, ohne Pep Guardiola die Hand zu schütteln.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2015
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