Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Mit liebenswerter Naivität

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Werder hat die Fähigkeiten von Team und Trainer überschätzt. Nun muss Florian Kohfeldt seinen ambitionierten Spielstil auf Abstiegskampf umstellen - und aufpassen, dass er die Fans nicht verliert.

Kommentar von Christof Kneer

Am 32. Spieltag spielt Werder Bremen gegen den FC Bayern. Dass das ein spannendes Spiel werden könnte, hat man sich vor der Saison schon gedacht, man dachte, dass es für die Münchner im Mai 2020 wie immer um die Meisterschaft gehen würde und für die Bremer vielleicht endlich mal wieder um die Teilnahme am Europapokal.

Ja, es wird wohl spannend werden im Mai, aber anders spannend, als sie sich das in Bremen gewünscht und gedacht haben. Nach Lage der Dinge könnte es sein, dass es im Mai 2020 wieder ein Hashtag richten muss, wie schon im Mai 2016, als die "greenwhitewonderwall" dem SV Werder den Klassenverbleib sicherte. Es war eine ebenso coole wie rührende Aktion damals, sie brach mit den üblichen Mustern der Branche: Das hatte man ja noch nie erlebt, dass kein Trainer, kein Stürmer und nicht mal eine Mannschaft die Rettung schaffte, sondern eine ganze Stadt. Nicht Werder Bremen blieb damals in der Bundesliga, sondern Bremen - zumindest all jene, die den Teambus dank der Hashtag-Aktion singend ins Stadion begleiteten.

Das Problem an solchen Aktionen ist, dass sie nicht beliebig wiederholbar sind, wobei: Den Bremern würde man es sogar zutrauen, dass sie so eine Magie noch mal neu erschaffen. Wenn man weiß, was Werder für die Stadt bedeutet, ahnt man, dass der Stadt im Zweifel noch mal ein Hashtag einfallen würde - vielleicht würden die Werder-Profis dann wieder mit erheblichen Gänsehäuten im Bus sitzen und anschließend die Bayern weghauen.

Im Dezember 2019 haben die Bremer nun aber 0:5 gegen Mainz verloren, das Ergebnis war nicht mal das Schlimmste. Schlimmer war, dass die Elf das Stadion leer spielte - entsetzte Fans flüchteten, darunter sicher auch viele, die einst tragende Teile der #greenwhitewonderwall bildeten. Werder muss aufpassen, dass Bremen nicht vom Glauben abfällt, denn man kann nicht mehr sicher sein, dass die Mannschaft es ohne die Stadt schafft.

Werder ist die Überraschungs-Elf der Saison, nur andersrum als geplant. Dabei haben sich trotz einiger Verletzungssorgen keine bösen Mächte eingemischt, Werders Absturz ist eine Sach- und Fachgeschichte. Die Bremer ahnen das inzwischen selbst: Dass sie besten Gewissens, voller Romantik und mit liebenswerter Naivität handwerkliche Fehler begangen haben. Sie haben den Abschied von Max Kruse unterschätzt, dessen Raffinesse der Elf fehlt; sie haben sich an der heiligen Sechser-Position versündigt, es gibt keinen Profi im Kader, der im Zentrum Stabilität garantiert. Sie haben zu sehr darauf vertraut, dass der auf Offensive berechnete Stil des begabten jungen Trainers Florian Kohfeldt so biedere Sicherungssysteme nicht nötig hat - und sie haben so hohe Ziele formuliert, dass die Elf nun keinen emotionalen Halt mehr bei irgendwelchen Zwischenzielen findet.

Er wolle "mit einer kleineren Mannschaft wie eine größere spielen", hat Kohfeldt im Sommer über seinen ambitionierten Ansatz gesagt. Nun ist das Gegenteil eingetreten: Nun muss er mit einer größeren Mannschaft wie eine kleine spielen. Kohfeldt muss sich nun an einer neuen Sach- und Fachgeschichte versuchen: Er muss eine Elf, die im Abstiegskampf bedenklich unbewaffnet wirkt, mit handwerklichen Mitteln wieder festigen. Und es spricht für den greenwhitewonderwall-Standort, dass sie ihm das zutrauen.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2019
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