Süddeutsche Zeitung

Bremer 3:2 in Dortmund:Das Werder-Wunder von Westfalen

Lesezeit: 3 min

Bis zur 89. Minute führt der BVB gegen Bremen mit 2:0 - dann schießt Werder noch drei Tore. So etwas hat es in der Bundesliga bisher noch nie gegeben, Trainer Ole Werner nennt den Spielverlauf "irrational".

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Es schien vorbei zu sein für die Fußballer von Werder Bremen in ihren lachsfarbenen Auswärtstrikots. 2:0 führte ihr Gastgeber Borussia Dortmund in jener 89. Minute, als der Aufsteiger aus Bremen drei Mal zurückschlug, das Spiel durch die Joker Lee Buchanan (89.), Niklas Schmid (93.) und Oliver Burke (95.) binnen sieben Minuten drehte und noch mit 3:2 (0:1) gewann. Drei Tore ab der 89. Minute hat in der Bundesliga noch nie eine Mannschaft geschossen. "Wahnsinn!", schwelgte der Trainer Ole Werner hinterher.

Schon bei den vorangegangenen beiden 2:2-Unentschieden der Bremer in Wolfsburg und gegen Stuttgart hatte es späte Treffer gegeben. Die Dortmunder hätten also gewarnt sein können, aber selbst wenn sie es nicht waren, hätte ihnen solch eine Blamage in ihrem heiligen Heimstadion nicht passieren dürfen. Eine Niederlage zu Hause nach einer 2:0-Führung hatte der BVB zuletzt vor 40 Jahren erlitten. Gleich mehrere Statistiken dokumentieren also, wie unwahrscheinlich die Ereignisse in Dortmund am Samstagnachmittag waren.

Für den BVB-Trainer Edin Terzic war es dennoch im dritten Saisonspiel die erste Niederlage. "Weil es von uns keine gute Leistung war, ist die Niederlage verdient", konstatierte Terzic nüchtern, "trotzdem ist sie natürlich brutal ärgerlich." Die etwa 25 000 Fans auf der Südtribüne waren in der Schlussphase so still wie selten. Sie trauten ihren Augen nicht.

Zwei Fernschüsse hatten den einfallslosen Dortmundern zuvor durch Julian Brandt (45+2.) und Raphael Guerreiro (77.) jene 2:0-Führung eingebracht, die zwei Minuten vor dem regulären Ende den dritten Sieg im dritten Spiel zu bedeuten schien. Doch dann kamen die Bremer zurück und belohnten ihre leidgeprüften Fans, die nach dem von Polizeikontrollen beeinträchtigten ersten Auswärtsspiel in Wolfsburg vor zwei Wochen diesmal unter dem Ausfall eines Stellwerks am Dortmunder Hauptbahnhof litten und nicht wie geplant mit der Bahn anreisen konnten, weil am Hauptbahnhof den ganzen Tag nämlich gar nichts ging.

Vielleicht hätte auch Cristiano Ronaldo mit dem Zug anreisen wollen, vielleicht ist an dem Gerede, der mehrmalige Weltfußballer von Manchester United wolle gern zu Borussia Dortmund wechseln, aber auch überhaupt nichts dran. Als "größtes BVB-Gerücht aller Zeiten", hatte Terzic diese Spekulation bezeichnet, bevor gegen Bremen ein Spiel begann, in dem sich die heimischen Fans gewiss gefreut hätten über einen genialischen Spieler wie Ronaldo. Dortmund tat sich nämlich schwer. "Wir hatten keine Kontrolle und haben viel zu wild gespielt", klagte der Kapitän Marco Reus hernach. "Wir hatten einfach nicht die gleiche Energie wie Bremen", gestand der Torwart Gregor Kobel ein.

Die Dortmunder Ersatzbank beherbergte bei Spielbeginn: Salih Özcan, Giovanni Reyna, Thorgan Hazard, Youssoufa Moukoko, Emre Can, Thomas Meunier und Niklas Süle. Das wäre bei manch anderem Klub mehr als die halbe Startelf. Weil Donyell Malen verletzt ausfiel, hatte sich Terzic für Spieler wie Marius Wolf, Julian Brandt und Jamie Bynoe-Gittens entschieden. Letzterer verdaddelte auf der linken Seite fast jeden Ball. Brandt hingegen schoss dem BVB von rechts die 1:0-Führung heraus. Er zog in die Mitte und drosch aus 18 Metern ein. Diese Pausenführung war aber schmeichelhaft, denn die Bremer hatten die aussichtsreicheren Torannäherungen herausgespielt.

Nach einer Stunde kam erstmals in der Bundesliga der vom FC Bayern transferierte Innenverteidiger Niklas Süle ins Dortmunder Spiel. Er ersetzte Mats Hummels und spielte fortan Seite an Seite mit Nico Schlotterbeck. Die Beiden sollen künftig das neue BVB-Bollwerk bilden, doch was ab der 89. Minute passierte, könnte erst mal eine Zeitlang auf diesem Duo lasten.

Die Bremer Ersatzbank beherbergte bei Spielbeginn unter anderem die drei späteren Matchwinner Buchanan, Schmid und Burke. Letzterer hatte bereits eine Woche zuvor beim 2:2 gegen Stuttgart den Bremer Ausgleich in der fünften Minute der Nachspielzeit erzielt. Man kannte solch späten Jubel also bereits. Trotzdem nannte der Trainer Werner das Werder-Wunder von Westfalen aufgrund seines ungleich größeren Ausmaßes "irrational".

"Nach dem 1:2 keimte Hoffnung, nach dem 2:2 war ich gedanklich schon auf Absicherung bedacht, aber nach dem 3:2 gab es natürlich kein Halten mehr", rekapitulierte Werner seine Emotionen. Die Stimmung in der Kabine sei genauso ausgelassen gewesen, wie sich das jeder vorstellen könne. "Der Spielverlauf spricht für die Moral meiner Mannschaft", schloss Werner. Die kommenden Gegner werden sich hüten, Spiele gegen Werder Bremen zu früh abhaken zu wollen.

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