Süddeutsche Zeitung

Braunschweig - Hertha:Moneten gegen Menetekel

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Auf die Fortsetzung des ewigen Scheiterns im Pokal kann Hertha reagieren wie ein "Big City Club": Nach dem 4:5 soll Kölns Cordoba gekauft werden.

Von Thomas Hürner, Braunschweig

Am Ende dieses dramatischen Pokalabends ging es für Bruno Labbadia auch darum, die Haltung zu wahren. Sein dunkelblaues, wie immer maßgeschneidert sitzendes Sakko war zuvor durchaus strapaziert worden, als der Trainer von Herha BSC noch wutschnaubend durch seine Coaching Zone gesprungen war und sich mal an seinen Spielern, mal am Schiedsrichtergespann entladen hatte. Eigentlich gelten Labbadias Auftritte ja als durchaus stilvoll, sowohl modisch als auch phonologisch. Entsprechend erschien er dann auch zur anschließenden Pressekonferenz, immer noch im dunkelblauen Sakko, das weiße Hemd bis oben zugeknöpft. Er war sichtlich bemüht um eine ruhige, aber inhaltlich doch schonungslose Analyse. Also genau so, wie es die Etikette für den Trainer eines selbsternannten "Big City Clubs" aus der Hauptstadt gebietet - und auch für einen Trainer, der sich gewisser Privilegien sicher sein kann.

Hertha BSC war gerade aus dem DFB-Pokal geflogen, mal wieder. Noch nie haben die Berliner das seit mehr als 35 Jahren in Berlin platzierte Finale in ihrem eigenen Stadion erreicht. Aber das Erstrunden-Aus beim Zweitliga-Aufsteiger Eintracht Braunschweig offenbarte noch weitaus besorgniserregendere Tendenzen. 5:4 stand es am Ende für den klaren Außenseiter, die Partie war eine Endlosschleife aus jagen, gejagt werden, wieder aufrichten und von vorne beginnen.

Cunha, Lukebakio, Cordoba - das wäre ein Sturmtrio für mehr als 50 Ablöse-Millionen

Sie beinhaltete natürlich auch jene anarchischen Momente, die jedem Pokalspiel innewohnen, wenn der eigentlich Unterlegene erst mal das Potenzial der Partie gewittert hat. In Labbadias Analyse ging es aber vor allem um Grundlegendes: zu viele individuelle Fehler, schwache Abstimmung, falsche Entscheidungen, mangelnde Konsequenz - um nur einige Kritikpunkte anzuführen, die der Coach als maßgebend für die Niederlage identifizierte.

Allen voran Braunschweigs Angreifer Martin Kobylanski hatte großes Vergnügen dabei, der Gästemannschaft ihre defensive Indisponiertheit vorzuführen. Drei Treffer gingen auf sein Konto, jedes Mal zur zwischenzeitlichen Führung. Für den ersten Treffer per Freistoß aus großer Distanz benötigte er gerade einmal 63 Sekunden, und für den Spielmacher und Kapitän der Braunschweiger war es ja in mehrfacher Hinsicht eine besondere Partie: Kobylanski, 26, ist gebürtiger Berliner.

Bei Hertha fehlte zwar in Person von Dedryck Boyata (verletzt) und Jordan Torunarigha (gesperrt) die etatmäßige Innenverteidigung, in der Startelf waren die beiden durch Karim Rekik und Niklas Stark ersetzt worden. Andere Bundesligisten wären allerdings glücklich über solche Alternativen, und in Wahrheit war auch nicht "jeder Schuss ein Treffer", wie Labbadia hinterher über die Effizienz der Braunschweiger klagte. Das gehörte vielleicht zur Kommunikationsstrategie des Trainers, der bis auf ein paar wenige Ausnahmen ("für uns ist das eine große Enttäuschung") sehr darum bemüht war, über die positiven Details des Abends zu sprechen.

"Sehr viel Energie" habe seine überlegene Mannschaft gezeigt, betonte Labbadia, und "nach vorne kann man es nicht viel besser machen". Lediglich die Chancenverwertung gab Anlass zur Kritik.

Dennoch konnte jeder Spieler aus Herthas Offensivtrio etwas Zählbares auf der Habenseite verbuchen: Der feinfüßige Matheus Cunha traf mit einem überlegten Schlenzer, der dynamische Dodi Lukebakio gleich doppelt, der Linksaußen Maximilian Mittelstädt zum Leidwesen der Berliner aber nur ins eigene Tor. Zwischen den Pfosten stand dort erstmals Alexander Schwolow, der vor ein paar Wochen aus Freiburg geholt worden war und durch diesen Startelf-Einsatz wohl die Gewissheit hat, vor Rune Jarstein als Nummer eins in die Saison gehen zu dürfen.

Dass ausgerechnet das Angriffsspiel der Lichtblick im Hertha-Spiel war, darf angesichts der jüngsten Vorgeschichte überraschend wirken. Vor der Partie in Braunschweig hatte es drei torlose Niederlagen in Testspielen gegeben, die Berliner haben überhaupt eine Vorbereitung wie ein Menetekel hinter sich: Viele Verletzte, nach Länderspielen mussten Spieler mehrfach in häusliche Quarantäne, Training war deshalb oft nur in einer kleinen Gruppe möglich. Auf dem Transfermarkt passierte bisher überraschend wenig im Sinne Labbadias, vier Zugängen stehen zehn Weggänge gegenüber, darunter einstige Stützen wie Stürmer Vedad Ibisevic oder Mittelfeldmann Marko Grujic.

Womit man bei den Privilegien wäre, die Labbadia trotz aller Probleme für sich beanspruchen kann - und von denen er sicherlich schon wusste, als er das elektrisierende, für Hertha am Ende aber desaströse Pokalspiel bilanzierte. Als Ersatz für Grujic wurde bereits Lucas Tousart aus Lyon verpflichtet, der Franzose hat 25 Millionen Euro gekostet und gegen Braunschweig bereits eine ansprechende Leistung gezeigt, wie Labbadia fand. Und nun scheint sich auch die langersehnte Verstärkung für den Sturm anzukündigen. Diese dürfte ebenfalls nicht ganz billig werden: Medienberichten zufolge soll Jhon Cordoba kurz vor der Unterschrift bei Hertha stehen, Kostenpunkt angeblich 15 Millionen Euro.

Cordoba, ein 1,88 Meter großes Kraftpaket, war zuletzt mit 14 Toren maßgeblich an Kölns Ligaverbleib beteiligt. Ein Sturmtrio bestehend aus dem Kolumbianer, Cunha und Lukebakio wäre nicht nur äußerst variantenreich, es wäre auch mehr als 50 Millionen Euro teuer. Auch das gehört ja bekanntlich zum neuen Berliner Stil.

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SZ vom 14.09.2020
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