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Boxkampf Fury vs. Wilder:Nacht der lebenden Toten

Lesezeit: 6 min

Ein großer Kampf, eine Schlacht für die Geschichtsbücher: Beim Schwergewichtsfight zwischen Tyson Fury und Deontay Wilder zeigt sich wieder einmal, dass Boxen auch Denksport ist - am Ende singt Sieger Fury ein Lied.

Von David Pfeifer, Bangkok

Dass Boxen ein Denksport ist, wurde Samstagnacht in Las Vegas eindrucksvoll unter Beweis gestellt, bei der Schwergewichts-Weltmeisterschaft nach Version der WBC zwischen Tyson Fury und Deontay Wilder - der dritten Begegnung der beiden gefährlichsten Kämpfer in dieser Gewichtsklasse. Fury, der am meisten Ringintelligenz besitzt und unberechenbar boxt, gegen Wilder, der über die härteste Rechte verfügt, die es derzeit im Boxen gibt. Es wurde, so viel kann man schon sagen, kein schöner, aber ein großer Kampf.

Deontay Wilder griff von der ersten Sekunde an, attackierte Tyson Fury zum Körper. Dieser gedrungene Oberkörper von Fury, der zwischen Hosengürtel und Kinn nur zwei Handbreit Trefferfläche zu lassen scheint, ist normal kein beliebtes Ziel, aber Wilder schlug und traf. Die Idee war wohl, Fury mit Körpertreffern zu ermüden, seine Deckung runter zu ziehen, um Platz zu machen für Wilders eigene Rechte. Eine Technik, mit der schon Mike Tyson viele Kämpfe siegreich gestalten konnte. Wilder hatte also einen Plan. Doch von eben diesem Mike Tyson, von dem Fury seinen Vornamen hat, stammt auch die unverbrüchliche Boxer-Weisheit: Jeder hat einen Plan, bis er ins Gesicht geschlagen wird.

Und Fury, dem zwei Minuten und 40 Sekunden auf sein gar nicht so kleines Bäuchlein gehauen wurde, schlug in den verbliebenen 20 Sekunden zwei für seine Verhältnisse sehr saubere Links-Rechts-Kombinationen, wobei die letzte Rechte, kurz vor dem Gong, so hart in Wilders Gesicht einschlug, dass dieser sich nicht mehr so recht an seinen Plan zu erinnern schien, als er in die Ringecke wankte.

Wilder hatte offenbar seinen Plan vergessen und boxte zu schwach und berechenbar

Und schon bog die Begegnung ab in Richtung ganz großes Drama. Trilogien sind im Boxen immer etwas besonderes: Ali gegen Frazier, Holyfield gegen Bowe. Wenn nach zwei Kämpfen noch nicht geklärt ist, wer besser war, geht vor dem dritten üblicherweise ein besonders schwerer Vorhang auf. Nur muss man dazu sagen, dass nur einer der beiden Kämpfer das Gefühl hatte, es sei noch etwas ungeklärt: Deontay Wilder. Er drückte eine Klausel für einen Rückkampf durch, als die Begegnung zwischen Tyson Fury und Anthony Joshua, auf die eigentlich alle warteten, bereits verabredet war.

Doch Wilder war der Ansicht, er könne gegen Fury etwas beweisen, und hier geht der Denksport los. Denn Wilder hatte die ersten beiden Begegnungen klar verloren, so sahen es außer ihm fast alle Menschen, in und außerhalb des Rings. Im zweiten Kampf war Wilder schwer verprügelt worden, seine Ecke warf in der siebten Runde das Handtuch. Im ersten hatte er ein schmeichelhaftes Unentschieden herausgeboxt, weil er Fury in der neunten und zwölften Runde zu Boden schlagen konnte. Die Frage war also: Hatte Wilder etwas gelernt aus diesen Niederlagen?

Schon in der zweiten Runde sah es so aus, als sei das nicht der Fall. Wilder hatte seinen Plan vergessen und boxte wieder wie immer, zu berechenbar, zu limitiert, also eigentlich zu schwach für Fury. Tyson Fury sieht beim Boxen ungelenker aus, als er ist, er schlägt variabel, fintiert andauernd, hat ein gutes Auge und schnelle Reflexe. Aber Fury hatte vorab auch gesagt, "niemand kann die Distanz so schnell verkürzen und so gefährlich zuschlagen wie Wilder". Deswegen blieb er außerhalb dieser Distanz oder schob sich rein und seinen Gegner vor sich her. Er hatte die bessere Taktik.

Mehr gerungen als geboxt: Beide Boxer sind am Ende ihrer Kräfte

Was auch immer Wilders neuer Trainer ihm beigebracht hat: Im Rückwärtsgang boxen gehört nicht dazu. Wilder platzierte seine gefürchtete Rechte entweder aus zu großer Distanz oder aus ebenso hinderlicher Nähe. Fury aber traf, präzise und hart. In der dritten Runde ging Wilder schwer zu Boden, genau wie Fury es vorausgesagt hatte. Dass Wilder noch mal hochkam nach diesem Niederschlag, ist vielleicht kein gutes Boxen, aber man muss es würdigen, wie jene geradezu gespenstische Willensleistung von Tyson Fury im ersten Kampf.

Dass Boxen auch ein Denksport ist, zeigte sich in der Folge exemplarisch. Wilder sprang nach seinem Niederschlag rasch wieder auf statt sich Zeit zu nehmen, ein Ego-Problem bei Boxern, die sich nicht eingestehen wollen, dass sie gerade gefährlich getroffen wurden. Aber es war auch erst die dritte Runde. Und der Abend sollte noch lang werden.

Nach den ersten beiden Kämpfen hatte Wilder teilweise absurde Ausreden parat gehabt: Der Anzug für den Ring-Auftritt war zu schwer gewesen, sein Arm verletzt - ganz nach dem Motto, die Katze hat die Hausaufgaben gefressen. Dabei sind Ausreden gefährlich für Boxer, weil sie verhindern, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Nur wer einsieht, dass er verloren hat, kann analysieren, warum er verloren hat. Und daran arbeiten. Deontay Wilder hatte vor der dritten Begegnung verkündet, er sei ein "erneuerter, verjüngter Wilder", den er "der Welt präsentieren" wolle. Er hat nie gesagt, er habe Fehler gemacht. Und er verließ sich wieder auf seine gefährliche Rechte, die ihm zuvor zu 41 K.-o.-Siegen in 42 Kämpfen verholfen hatte.

Und so kam es dann auch in der vierten Runde: Fury, der schon fast so lange boxt, wie er laufen kann, lief mit seinen mittlerweile 33 Jahre alten, langen Beinen in eine Rechte Wilders und ging zu Boden. Er kam wieder hoch, boxte sich zurück und versuchte Wilder mit langen Schlägen zu stoppen, doch Wilder kam erneut durch und Fury ging ein zweites Mal zu Boden. Dort liegend schüttelte er ein wenig den Kopf und schien sich zu fragen, was er am ersten Niederschlag noch nicht verstanden hatte, dabei war die Botschaft doch eindeutig: Der Kerl ist weiterhin brandgefährlich.

Fury ist wieder der schlauere. Als er zu Boden geht, bleibt er lange liegen und ruht sich aus

Doch Fury kam auch dieses Mal wieder hoch, und ab dem Zeitpunkt stand auch die gesamte Arena in Las Vegas. Man spürt im Publikum, wenn man Teil einer großen Geschichte wird. Und der Unterschied in der Mentalität beider Boxer zeigte sich sogar am Boden: Fury nahm sich bei beiden Niederschlägen fast die volle Zeit, die der Ringrichter ihn anzählte, um sich zu erholen. Und rettete sich so in die Rundenpause.

Was folgte, war eine Schlacht. Beide Kämpfer waren angeschlagen, hatten sich gegenseitig bereits alles gegeben und einiges genommen. An dieser Stelle würde in einem der Boxer-Dramen, die Hollywood so liebt, und die der Realität an so einem Abend doch hinterherhinken, eine Serie von Überblendungen folgen. Fury, der sich mit seinen 125 Kilogramm und 206 Zentimetern Höhe auf Wilder lehnt, der auch immerhin 116 Kilo schwer und 201 Zentimeter hoch ist. Wilder, der wüst zurückschlägt, Fury, der eine Runde nach Punkten abgibt, um sich erholen. Beide Kämpfer sind bereits zur Kampfhälfte am Ende ihrer Kräfte, in der sechsten Runde wurde mehr gerungen als geboxt.

Ab der siebten Runde deutet Wilder seine Führhand nur an, um seine Rechte ins Ziel zu bringen, teilweise wankt er durch den Ring wie ein Zombie. Trotzdem durchsteht er auch diese Runde, und hebt sogar den Arm zur Siegerpose, als er in die Ecke geht. Immerhin, sein neuer Trainer sagt ihm ehrlich und klar: "Du musst mitschlagen!"

Wilder kassiert zu viel von Fury. Trotzdem, und hier zeigt sich die Magie von großen Kämpfen: So wie in den ersten vier Runden schon ein gesamter Kampf gezeigt wurde, mit allen Höhen und Tiefen, in verdichteter Geschwindigkeit, so dehnt sich die Zeit nun plötzlich aus. Wilder bleibt stehen, er schlägt, er trifft, er rettet sich in die Rundenpausen, wie in der neunten, nachdem er sich zum Ende kurz an Fury festhalten muss, um nicht zu Boden zu sacken. Doch zum Ende der zehnten Runde trifft Wilder plötzlich wieder zwei Mal hart. Fury spürt diese Schläge.

Wilders Augen sind geschlossen, der Ringrichter zählt ihn nicht mehr an - der Kampf ist beendet

In der elften Runde dann, der 30. Runde, die beide Kämpfer mittlerweile insgesamt gemeinsam im Ring gestanden haben, trifft die Wahrheit doch noch mit aller Härte an Deontay Wilders Kopf. In Form einer kurzen Rechten von Fury. Wilder geht zu Boden, er liegt mit geschlossenen Augen, als würde er schlafen, der Ringrichter zählt ihn nicht mehr an, der Kampf ist vorbei. Nachdem Wilder wieder zu sich gekommen ist, verschwindet er rasch aus dem Ring, ohne sich zu äußern oder sich von Tyson Fury zu verabschieden. Fury lässt das nicht unerwähnt, "er lässt es leider an Respekt vermissen. Aber er ist trotzdem der zweitgefährlichste Schwergewichtsboxer der Welt." Dann singt Fury noch ein Lied. A capella.

Deontay Wilder ist da bereits in der Kabine, um einige Millionen Dollar reicher, aber wieder ohne seinen Weltmeistergürtel. Er wird nun vielleicht gegen Anthony Joshua antreten dürfen, der vor zwei Wochen überraschend gegen Oleksandr Usyk verloren hat. Wenn Tyson Fury Recht hat mit seiner Einschätzung, wird Wilder den ehemaligen Weltmeister Joshua schlagen können. Usyk wiederum, der von den Vieren wohl am besten boxt, aber auch der kleinste und leichteste ist, wird sich womöglich bald ein Gefecht um alle Gürtel der großen Weltverbände mit Tyson Fury liefern dürfen und mutmaßlich verlieren. Es könnte dann vielleicht tatsächlich zu einem vierten Kampf zwischen Fury und Wilder kommen. Bis dahin müsste Wilder nur lernen, etwas anders zu machen. Und dazu sollte irgendjemand ihm schonend beibringen, dass er mittlerweile drei Mal verloren hat.

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