Süddeutsche Zeitung

Boxen:Faust gegen Faust

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Die Amateurbox-WM in Hamburg ist ein unaufgeregter Gegenentwurf zur Hybris des Profi-Geschäfs und den Schaukämpfen - wäre da nicht der zwielichtige Aiba-Präsident Wu.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Pat Fiacco war selbst Boxer. In den Siebzigerjahren kam er als Junge in die Trainingshalle des Regina Boxing Clubs in der Dewdney Avenue. Trainierte seinen Körper, entwickelte seinen Geist, schärfte sein Selbstbewusstsein. 1980 wurde er kanadischer Meister im Federgewicht und im Laufe seiner Zeit im Ring der Charakter, der er heute ist: ein robuster Mann mit Führungsqualität, der in verschiedenen Geschäftsführerpositionen tätig war, der seiner Heimatstadt Regina auch schon als Bürgermeister diente und heute als Präsident des kanadischen Box-Verbandes wirkt. Fiacco hat das am Rande der Box-WM in Hamburg erzählt, weil er klar machen wollte, worum es ihm und anderen Vorstandsmitgliedern des olympischen Welt-Boxverbandes Aiba geht, wenn sie sich dieser Tage gegen die nebulöse Finanzpolitik des Aiba-Präsidenten Ching-kuo Wu richten. "Für viele Gemeinden ist Boxen eine soziale Fabrik", sagt Fiacco, "dies hier ist viel mehr als ein politisches Manöver. Es geht um unseren Sport."

Die Box-WM in der Sporthalle Hamburg im Stadtteil Winterhude nimmt unaufhaltsam ihren Lauf. Runde um Runde, Kampf um Kampf bringt sie Sieger und Verlierer hervor und wirkt dabei bodenständig und angenehm unaufgeregt. Ganz anders als zum Beispiel diese millionenschwere Show um den sogenannten Money Belt des Weltverbandes WBC, bei welcher der amerikanische Ex-Weltmeister Floyd Mayweather jr. am Wochenende in Las Vegas gegen den irischen Mixed-Martial-Arts-Champion Conor McGregor gewann.

Der Kunstnebel, der die Athleten vor ihren Hamburger WM-Einsätzen umwölkt, ist etwas dünner als auf den großen Bühnen des kommerziellen Kampfsports - wenn er überhaupt da ist. Der Reigen der Drei-Runden-Kämpfe stellt tatsächlich die Kunst des Faustkampfs in den Vordergrund, weniger die lärmende Hybris eines sündteuren Unterhaltungsgeschäfts. Und ist das olympische Boxen mit seinen WM-Turnieren nicht für viele Größen schon der Ausgangspunkt einer schillernden Box-Karriere gewesen? Auch Mayweather hat schon bei so einer WM gekämpft, 1995 in Berlin. Er kam damals nicht weit, ehe er 1996 in Atlanta Olympia-Dritter wurde.

Die Aiba-WM ist also durchaus eine Veranstaltung von Belang und die Aiba mit einer gewissen Verantwortung ausgestattet. Umso bedrückender ist es für viele im Vorstand, dass Präsident Wu sie im Unklaren über die Finanzen lässt. Das Interims-Management-Komitee IMC, eine interne Führungseinheit des Aiba-Vorstands mit Sprecher Fiacco, richtet sich deshalb mit Unterstützung vieler Mitgliedsverbände gegen Wu. Sie fordern, dass er endlich die Verträge zu einem Darlehen von der aserbaidschanischen Firma Benkons und zu anderen Investitions-Vereinbarungen offenlegt. Von möglichen Schulden bis zu 30 Millionen Dollar ist die Rede. "Wenn die Forderungen alle fällig werden, ist die Aiba pleite", sagt Fiacco. Ein Lausanner Gericht soll im September entscheiden, ob die Vorstandsmitglieder das Recht haben, gegen Wus Willen einen außerordentlichen Kongress abzuhalten. Das haben Wus Gegner nämlich vor: am 12. November in Dubai. Ziel: Die Entmachtung des Präsidenten.

Für den Deutschen Boxsport-Verband (DBV) kommt der Aufruhr zur Unzeit. Die Box-WM sollte mal eine Werbeveranstaltung für Hamburgs Olympiabewerbung sein. Diese Funktion hat sie jetzt nicht mehr, weil ein Volksentscheid längst gegen Spiele in der Hansestadt gestimmt hat. Aber für den DBV ist die WM eine seltene Chance geblieben, sich zu präsentieren. Die Stimmung in der Halle ist gut, die deutschen Athleten zeigen ansprechende Leistungen. Und deshalb würde Michael Müller, Sportdirektor und Generalsekretär im DBV, gerne vermeiden, dass die Sportpolitik vom Geschehen in der Hamburger WM-Arena ablenkt. "Grundsätzlich gilt, dass wir uns auf die WM konzentrieren", sagt er.

Allerdings tragen die jüngsten Mitteilungen zum Fall eben auch die Unterschrift von Jürgen Kyas, DBV-Präsident und Mitglied des Aiba-Vorstands. Die Deutschen stecken also mittendrin im Kampf gegen die schwierige Lage bei der Aiba, die sogar dazu geführt hat, dass IOC-Präsident Thomas Bach seinen Besuch bei der WM abgesagt hat. Deshalb kann Müller Fragen dazu schlecht ausweichen. Er beantwortet sie ruhig und ohne große Worte. Den Vorgang, der vom Aiba-Exekutiv-Komitee ausgeht, nennt er "einen lobenswerten demokratischen Prozess, der notwendig ist". Zu viel über den aktuellen Schuldenstand der Aiba will er nicht sagen. "Niemand hat bisher belastbare Papiere gesehen." Wus Führungsstil hat das nicht zugelassen.

Dass eine Entfremdung stattgefunden hat zum Aiba-Präsidenten, kann er bestätigen. "Das war ein schleichender Prozess", sagt Müller. Wu war mal ein Hoffnungsträger nach der Regentschaft seines eher autokratisch gestimmten Vorgängers Anwar Chowdhry aus Pakistan. Er enttäuschte die Erwartungen zunächst nicht - aber mit der Zeit wurde Wus Politik immer undurchsichtiger. Unter anderem gibt es Kritik daran, dass sich kaum ein Land mehr die Veranstaltung einer WM leisten kann. Die Aiba hat keinen Fernsehvertrag, verlangt aber eine TV-Produktion in Spitzenqualität. Dazu kommen Lizenzgebühren. Zwei Millionen Euro betrugen diese für die WM 2017. "Das ist schon ein sehr, sehr stolzer Betrag", sagt Müller. Ohne die Hilfe der Stadt Hamburg hätte der DBV die Titelkämpfe nicht finanzieren können.

Und Präsident Wu selbst? Das Sportpolitik-Portal insidethegames sandte ihm eine Anfrage zu den Forderungen seiner Vorstandskollegen. Ein Aiba-Sprecher antwortete für ihn: Eine erfolgreiche WM in Hamburg abzuliefern sei jetzt "unsere einzige Sorge". Sehr beruhigend.

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SZ vom 30.08.2017
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