Süddeutsche Zeitung

Boxen:Die große Hoffnung des deutschen Boxens

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Von Benedikt Warmbrunn

"Dass das Boxen in Deutschland ein bisschen untergegangen ist", sagt Abass Baraou, "ist schon schade." Er erzählt von den TV-Übertragungen im Spartenprogramm, davon, dass einer fehlt wie die Klitschkos, wie Henry Maske, dass also ein Held fehlt, ein Liebling des Publikums. "Wenn Deutschland wieder einen Zugang zum Boxen findet", sagt Baraou, "dann kann das jeden packen."

Für Baraou ist diese Diagnose eine Chance. Baraou, 24, ist Profiboxer, genauer gesagt: Er ist der Profiboxer, dem viele zutrauen, dass er das deutsche Boxen aus der Bedeutungslosigkeit befreien könnte. Er ist zurzeit die große Hoffnung. Vielleicht auch schon die letzte.

An diesem Samstag boxt Baraou in London gegen John O'Donnell, "in England gegen einen Iren, das ist schon ein Highlight". Das Duell findet statt im Rahmen der World Boxing Super Series, die es schafft, noch vergleichsweise viel Aufmerksamkeit zu gewinnen. Baraou kann sich dadurch einem größeren Publikum präsentieren, als es ihm das deutsche Boxen üblicherweise ermöglichen kann, und das in seinem achten Profikampf.

Das Boxen in Deutschland, das einmal Millionen Zuschauer vor die Fernseher gelockt hat, bei Maske, bei den Klitschko-Brüdern, hat sich in den vergangenen Jahren weit zurückgezogen. Die Kämpfe von Sauerland, dem Team von Baraou, werden auf Sport 1 übertragen, veranstaltet wird meist in kleinen Hallen. Geld, das einst im Überfluss vorhanden war, verdient kaum einer. Manche, das SES-Team im Osten oder EC Boxing im Norden, sind regional tief verwurzelt. Doch allen fehlte lange ein Kämpfer, der national oder gar international geachtet wird.

"Ich muss vorsichtig sein, weil ich als sein Trainer ja parteiisch bin", sagt Ulli Wegner, "aber ich bin überzeugt, dass Abass einer ist, wie wir ihn auf diesem Niveau nicht oft hatten. Henry, Sven Ottke, Dariusz Michalczewski. Das war's."

Wegner schwärmt von einem Talent, das "naturgegeben" sei. Baraou bringe zwei Eigenschaften mit, die für jeden Boxer von Vorteil sind: Er sei schnell und beweglich. Und er habe das, was Trainer wie Wegner "Ringintelligenz" nennen. Baraou, der in Aalen geboren, in Togo aufgewachsen und in Oberhausen zum Boxen gekommen ist, hat eine lange Karriere bei den Amateuren hinter sich, 156 Kämpfe, er gewann Bronze bei der WM und Gold bei der EM.

Manche erfolgreiche Amateurboxer scheitern bei den Profis dann daran, dass sie das, was sie zuvor in drei Runden gesteckt haben, auf einmal über zwölf Runden verteilen müssen. Sie werden manchmal früh zermürbt von weniger talentierten, dafür erfahrenen und abgezockten Profis. "Abass hat sofort verstanden, dass es nicht darum geht, jeden Schlagabtausch oder jede Runde zu gewinnen", sagt Wegner, "ich habe selten einen Boxer erlebt, der taktisch so schnell gewachsen ist." Bei den Profis hat Baraou bereits Titel gewonnen, die noch nicht die wichtigsten sind, die aber helfen auf dem Weg nach oben.

Baraou sagt, dass er Weltmeister werden möchte, am liebsten 2020. Aber ob er das deutsche Boxen retten kann? "Das schmeichelt mir, dass ich die Rettung sein soll", sagt Baraou, "aber ich versuche das auszublenden. Es gibt mir keine Sicherheit, ich gewinne dadurch keinen Kampf." Baraou ist ehrgeizig, er ist talentiert, er lässt sich aber nicht verrückt machen von den Spielchen des Profiboxens. Es ist genau diese Mischung, die lange gefehlt hat.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2019
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