Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Am Volumen gedreht

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Beim 2:0 gegen Petersburg fällt Lucien Favre plötzlich mit aktivem Coaching auf. Weil seine Elf sich aber nur wenig verbessert zeigt, werden die Debatten um den Trainer kaum verstummen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Der Wind fetzte skurrile Muster ins Flutlicht und in die Vorhänge aus Regen, der laut aus dem Himmel fiel. Und am Spielfeldrand stand Lucien Favre, in grauer Jacke mit grauer Kapuze, gestikulierend und so lautstark durchs fallende Wasser brüllend, dass man ihn im ganzen Stadion hören konnte. Kaum zu glauben, wie laut Dortmunds Trainer werden kann. Wer hätte das gedacht! Fast konnte man an diesem novembrigen Oktoberabend glauben, der Schweizer, der sonst so leise und bedacht wirkt, hätte die Zeichen der Zeit erkannt und am Volumen gedreht.

Ob die lauten Anweisungen des Trainers irgendwas beitrugen zum 2:0 des BVB gegen Zenit St. Petersburg? Man wird das nie sagen können. Aber am Ende hat im Fußball meistens der Recht, der gewonnen hat. Schön spielen und nicht gewinnen wird nur ein-, zweimal anerkannt, danach fordern die blanken Ergebnisse ihr Recht. Mit dem Sieg gegen den russischen Meister, der bemüht, aber bieder wirkte, hat Borussia Dortmund im zweiten Gruppenspiel der Champions League erst einmal alles auf Anfang gestellt. 2,7 Millionen Euro Siegprämie, die die Uefa dem Sieger überweist, sind zudem in Corona-Zeiten im beinahe wahrsten Sinne des Wortes Gold wert. Und weil die Gruppengegner FC Brügge und Lazio Rom, beide am ersten Spieltag siegreich, dem BVB zugleich den Gefallen taten, Unentschieden gegeneinander zu spielen, war die Stimmung am Ende gar nicht schlecht. Sportchef Michael Zorc meinte: "Es war Druck auf dem Kessel, durch die Niederlage bei Lazio waren wir gezwungen zu gewinnen, und das hat die Mannschaft insgesamt gut gemacht. Wir haben keinen Torschuss zugelassen."

Julian Nagelsmann, Marco Rose, Jesse Marsch - insgeheim werden bereits Nachfolger gehandelt

Und der vorher einige Male so lautstarke Favre hatte sich nach Abpfiff schnell wieder in sein gewohntes Schneckenhaus zurück gezogen: "Es war sehr schwer, ein Tor zu machen. Aber das haben wir geschafft. Unsere Leistung war ganz okay, finde ich. Wir haben unseren Job gemacht."

Das war dann wieder der Favre, an den man sich in Dortmund gewöhnt hat. Ein bisschen zu leise vielleicht für einen Klub, dessen Rolle in Deutschland nun mal festgeschrieben zu sein scheint: der Herausforderer eines übermächtigen FC Bayern, der Bescheidenheit und Verzagtheit nicht gebrauchen kann, weil man den Laden sonst gleich zuschließen könnte. Dass Favre an diesem Abend zumindest einige Male seine Stimme fand, kann auch mit seiner Seelenlage in diesen Tagen zu tun haben.

Ein Sportblatt hatte ausgerechnet tags zuvor die Diskussion aufgemacht, wer im kommenden Sommer Favres Nachfolger werden könnte. Michael Zorc hatte sich, genau wie BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, zuletzt immer wieder geweigert zu sagen, ob und wann man denn mit Trainer Favre über eine Verlängerung des Vertrages verhandeln werde; Favres aktueller läuft im Sommer aus. Auch an diesem Abend, noch vor dem 2:0-Arbeitssieg, verweigerte Zorc im Sender Sky die Aussage: "Beide Seiten wissen, was man aneinander hat. Wir werden sicherlich irgendwann die Gespräche führen. Wir arbeiten jetzt schon über zwei Jahre miteinander zusammen, sind zweimal Vize-Meister geworden. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt."

Gehandelt wird schon lange Julian Nagelsmann, den Dortmund schon vor Favre gerne verpflichtet hätte, auch Marco Rose steht schon länger auf der Sondierungsliste, angeblich soll nun auch der amerikanische Chefcoach von RB Salzburg, Jesse Marsch, im Fokus sein. Alle drei wären auch im nächsten Sommer noch unter Vertrag, Nagelsmann in Leipzig, Rose in Gladbach. Das alte Dilemma für Dortmund: Dass man mit Favre gerne arbeitet, aber sich zugleich einen aktiveren, aggressiveren Pressing- und Adrenalin-Fußball wünscht - und eine Type als Trainer, die in Sachen Mentalität voraus geht. Ob Favre an diesem Abend wohl deshalb lauter war, als man ihn je kannte?

Auch Favre wusste das natürlich: Ohne das ziemlich unnötige Strafraum-Foul des Russen Karavaev an dem eingewechselten Dortmunder Thorgan Hazard wäre es vermutlich bei einem 0:0 geblieben. Aber Jadon Sancho nutzte dieses Geschenk von Karavaev in der 77. Minute per Elfmeter zum Führungstreffer, und in der Nachspielzeit setzte es dann noch einen Konter von Erling Haaland zum 2:0-Endstand.

Gravierende Besserung im Vergleich zur skandalös schwachen Auswärtspartie vor einer Woche in Rom gab es kaum zu beobachten. Die Zaghaftigkeit der Mannschaft zieht sich durch die ganze Favre-Zeit. Man wird wohl nie sagen können, ob sie mit der grundsätzlich übervorsichtigen Art des Trainers zu tun hat, die bei anderen Mannschaften sehr viel Sinn ergeben kann - die aber zu einem BVB eher nicht so gut passt, weil er in den allermeisten Spielen Favorit ist und sich an tief gestaffelten Gegnern abkämpfen muss.

So lange Lucien Favre aber gewinnt, und er gewinnt oft, wird man sich in Dortmund damit abfinden, dass sein Temperamentsausbruch im Starkregen wohl erst mal nur ein bisschen Theater war, und noch kein Stilwandel.

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Quelle:
SZ vom 30.10.2020
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