Süddeutsche Zeitung

Biathlon:Im Stall steht was zum Streicheln

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Nach einem wechselhaften Winter vertrauen die deutschen Biathleten auf ihre alte Stärke: Zum Höhepunkt, zur WM, wollen sie fit sein. Notfalls steht ein Pony zum Trösten bereit.

Von Saskia Aleythe, Pokljuka

Von den Hügeln grüßen zaghaft Männchen aus Heuballen, zwei, drei am Wegesrand, die 20 Kilometer vom nächst größeren Ort Bled hinauf zur Biathlon-Arena. Da ein Banner, dort noch ein Holz-Athlet, ein bisschen Schmuck haben sie sich nicht nehmen lassen für diese Wettbewerbe, die anders werden als all die Weltmeisterschaften zuvor. Die Veranstalter hatten lange gehofft, zumindest 500 Zuschauer in diesen Zeiten zulassen zu können, doch auch das wurde letztlich nichts. Nun also sind die Athleten unter sich, zumindest fast: Wenn er nach einem Rennen enttäuscht sei, könne er von seiner Unterkunft aus raus in den Stall und ein Pony streicheln, teilte Benedikt Doll seinen Instagram-Followern vor dem WM-Start mit. Ist doch auch was.

Es werden ruhigere WM-Tage als in den Jahren zuvor, was ganz gut passt zur Naturkulisse rund um den slowenischen Austragungsort. Pokljuka ist keine Stadt, sondern eine Hochebene, ausgetragen wird also eine WM auf der Pokljuka, zuletzt haben sie dort vor 20 Jahren Medaillen verteilen können. Einen WM-Titel für Deutschland gab es damals: Kati Wilhelm gewann Gold im Sprint. Und nun? Spricht Benedikt Doll zuerst über Enttäuschungen. Das Gefühl, dass nicht alles glatt läuft in dieser Saison, scheint tief verankert zu sein, nicht nur bei ihm. Cheftrainer Mark Kirchner attestierte der Mannschaft "eine gute Leistungsfähigkeit", das große Manko der Saison war allerdings die fehlende Konstanz. Rauf, runter, rauf, runter, fast wie die Strecke auf der Pokljuka.

Die internationale Konkurrenz ist noch stärker geworden

Goldene Leibchen zauberte der Weltverband kurz vor WM-Beginn noch aus dem Hut: Wer im vergangenen Jahr einen Titel errungen hat, soll nun im jeweiligen Rennen mit jenem Trikot über die Loipe hetzen, als Orientierung für die Fans vorm Bildschirm. Keine erbauliche Neuerung für den Deutschen Skiverband (DSV): Bei der WM 2020 in Antholz gab es erstmals seit 2013 keinen Titel für Deutschland. Geglänzt hatte es trotzdem: viermal Silber, einmal Bronze - eine Bilanz, die der sportliche Leiter Bernd Eisenbichler auch für die Wettkämpfe auf der Pokljuka als Ziel ausgerufen hat. Doch die Athleten um sie herum sind noch stärker geworden als vor einem Jahr. "Man muss sich mal die internationale Konkurrenz anschauen, die mit einer Vielzahl von Athleten vorne in der Weltspitze rangiert", sagt Bundestrainer Mark Kirchner. Bei den Männern sitzen gleich vier Norweger auf den vorderen Plätzen der Weltcup-Gesamtwertung - im deutschen Team hatten nur drei überhaupt die WM-Norm erfüllt: Doll, Erik Lesser und Arnd Peiffer. Nur zehn statt sonst zwölf Athleten und Athletinnen wurden zur WM mitgenommen, die anderen sollen lieber im zweitklassigen IBU-Cup Rennen laufen statt als Tourist dabei zu sein.

Sechs Podiumsplatzierungen konnten die Deutschen in diesem Winter jenseits der Staffeln einfahren, darunter war ein Sieg von Arnd Peiffer. Auch Denise Herrmann wäre gerne mit diesem triumphalen Gefühl nach Slowenien gefahren, sie hatte sich ja so viel vorgenommen für diese Saison: noch sicherer im Umgang mit der Waffe werden, siegen, vielleicht um die Gesamtwertung mitkämpfen. Doch nach Rang zwei zum Saisonauftakt passte bei ihr nicht mehr viel zusammen, ihr letztes Rennen vor der WM: sechs Fehler beim Massenstart in Antholz, Platz 26 von 30 Starterinnen. Eine Woche lang hat sie ihr Gewehr danach in die Ecke gestellt, um "die Festplatte neu zu formatieren", wie die 32-Jährige sagt, sie macht das häufig mal, wenn die Gedanken zu sehr kreisen. Dass es nun auf der Pokljuka um Medaillen geht, kommt der Verfolgungs-Weltmeisterin von 2019 aber dennoch gelegen: Die Strecke auf 1300 Metern Höhe ist für eine ehemalige Langläuferin wie sie wie gemacht: Die Anstiege wurden für die WM nochmal verschärft, die Abfahrten kurvenreicher gestaltet. Und: Der Schießstand gehört zu den einfacheren auf den Weltcup-Stationen. Erst einen Einzel-Wettkampf - bei dem viermal geschossen werden muss - hat Herrmann in ihrer Biathlon-Karriere fehlerfrei absolviert: vor einem Jahr, dort in Slowenien. Natürlich ist sie da frohen Mutes, trotz der letzten Monate. "Wir sind alle gut drauf und werden voll angreifen", sagt sie und weiß aus Erfahrung, "dass mir die zweite Saisonhälfte deutlich besser von der Hand geht".

Arnd Peiffer erlebt seine elfte WM: "Die Anspannung ist noch da."

Zum Höhepunkt fit zu sein haben sie im deutschen Team oft ganz gut hinbekommen, in diesem Winter scheinen vor allem Franziska Preuß die Corona-Hygiene-Maßnahmen zu Gute zu kommen: Sie musste sich nicht wie so oft mit Infekten durch die Saison schleppen und war regelmäßig zu Besuch in den Top Ten. Als Fünfte ist die 26-Jährige aktuell beste Deutsche im Weltcup, bei den Männern lauert Arnd Peiffer auf Rang zwölf den Besten auf. Der einzige Siegläufer in diesem Winter erlebt schon seine elfte WM. "Es ist eine gewisse Anspannung da. Wenn das mal nicht mehr so wäre, wäre es tatsächlich Zeit aufzuhören", sagt der 33-Jährige. Peiffer hat wilde Episoden mitgemacht in seinem Sport. Auch die "jahrzehntelange Vertuschung russischer Dopingfälle", die eine externe Überprüfungskommission jüngst der ehemaligen Verbandsspitze attestierte. Frustrierend und enttäuschend findet Peiffer das im Nachhinein, aber er glaubt auch an eine positive Entwicklung im Weltverband. Vieles sei transparenter geworden.

Es könnte also alles schlimmer sein vor dem WM-Auftakt, am Mittwoch gibt es in der Mixed-Staffel die ersten Medaillen. Und für den Notfall, das gilt für Doll wie für den Rest des Teams, wartet im Stall ein Pony.

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