Süddeutsche Zeitung

Biathlon in Ruhpolding:"Man ist fast geflogen"

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17 000 Zuschauer feiern die Renaissance der Ruhpoldinger Biathlon-Festspiele und inspirieren die deutsche Frauen-Staffel zu einer Energieleistung.

Von Korbinian Eisenberger, Ruhpolding

Die entscheidende Szene ereignete sich wie so oft in dieser Sportart beim letzten Schießen. Im Duell: Die Wahl-Ruhpoldingerin Denise Herrmann-Wick und die Südtirolerin Dorothea Wierer. Und es wurde eng, denn erst schoss die Deutsche daneben, dann auch noch die Italienerin. Im Gleichtakt schoben sie also ihre Nachlader-Patrone ins Gewehr, drückten noch mal ab - und entlockten dem Publikum auf der Haupttribüne einen doppelten Freudenschrei.

Auf der Schlussrunde an diesem vierten Tag des Ruhpoldinger Biathlon-Weltcups konnte Wierer der Deutschen Herrmann-Wick nicht mehr folgen. Herrmann-Wick lief auf den letzten 2000 Metern dieses Staffelrennens gar noch nah ran an die führende Norwegerin. 20 Sekunden nahm sie Ingrid Landmark Tandrevold noch ab. Die konnte dennoch entspannt Richtung Ziel laufen und bewahrte 15 Sekunden Vorsprung. So wiederholten sich die Ereignisse vom Staffelrennen der Männer am Vortag: Es siegte Norwegen vor Deutschland.

Und doch wies der Samstag von Ruhpolding einige Abweichungen auf, was zuvorderst 17 000 Menschen zu verdanken war, die das Biathlonstadion und den Streckenrand bevölkerten. Tags zuvor waren es noch 12 000 Fans gewesen, doch die Vorzüge des Wochenendes locken traditionell größere Fanscharen an. Fünf Minuten vor Rennbeginn kündigte Stadionsprecher Karl-Heinz Kas dann wie vor jedem Rennen die Fahnenhymne an, hunderte Flaggen in allen Farben wurden durch die Luft geschwenkt. Spätestens in diesem Moment ließ sich erahnen, dass die Renaissance der Ruhpoldinger Biathlonfestspiele im Gange ist.

Fast drei Jahre hatten sie ja keine Fans ins Stadion bitten dürfen, nun also sind die Fahnen zurück, was nicht zuletzt an den schwer beschäftigten Schankkellnern der Bierstände lag. Die deutsche Startläuferin Anna Weidel konnte vom Enthusiasmus auf den Rängen dennoch kaum profitieren, was vor allem daran lag, dass sie gesundheitlich angeschlagen ins Rennen ging. Vier Nachlader brauchte sie - und übergab mit mehr als einer Minute Rückstand auf Zwischenrang zwölf. Dennoch wehten die schwarz-rot-goldenen Fahnen. Noch war ja eine Wende zum Guten möglich.

Wie von einer unsichtbaren Seilwinde über die Loipe gezogen

"Es war so beflügelnd mit den ganzen Zuschauern", sagte Vanessa Voigt nach dem Rennen, die als Zweite ins Rennen ging, eine fehlerfreie Darbietung am Schießstand zeigte und das deutsche Team auf Rang vier verbesserte. "Es ist fast, als ob man getragen wird", sagte sie. Ähnlich berührt vom Einsatz der Menschenmassen zeigte sich Sophia Schneider, die in der Nähe von Ruhpolding wohnt und unverkennbar auch so spricht. "Man ist fast geflogen", sagte sie. "Die Zuschauer haben einen einfach unglaublich angetrieben." Schneider brauchte ebenfalls vier Nachlader, lief aber über die Loipe als hätte der Ruhpoldinger Chefpräparator Alois Reiter sie an einer unsichtbare Seilwinde befestigt. Sie übergab als Dritte an Schlussläuferin Herrmann-Wick, die praktisch immer wie an einer Seilwinde durch den Schnee pflügt - und die brachte es mit insgesamt zwei Nachladern ins Ziel.

"Ich hab richtig frische Beine gehabt", sagte Herrmann-Wick, die nach dem letzten Schießen im Zweikampf mit Wierer eine Entscheidung traf. "Gleich Vollgas geben, damit sie vielleicht gar nicht auf die Idee kommt, mitzulaufen." Dieser Plan ging ziemlich präzise auf. Und so durften sich die deutschen Frauen am Ende des Tages über ihren zweiten zweiten Staffel-Platz in dieser Saison freuen. Ein bisschen ärgern aber durften sie sich auch: über zehn Fehlschüsse - vier mehr als bei den Norwegerinnen - die sie den ersten Platz kosteten. Auf einen Sieg warten die deutschen Biathletinnen und Biathleten in Ruhpolding ja noch. Zwei Chancen bleiben: Am Sonntag stehen noch die Massenstarts an. Um 12.30 Uhr gehen die Männer ins Rennen, um 14.45 Uhr die Frauen.

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