Süddeutsche Zeitung

Biathlon:Oberhof macht dicht

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Zu viel Schnee, zu viele Tagestouristen: Der Weltcup-Ort riegelt sich für die Biathleten ab, um der Pandemie zu entkommen. Simon Schempp darf sich nach 300 Tagen wieder im Weltcup beweisen.

Von Saskia Aleythe, Oberhof/München

Die Sache mit der Natur ist die: Sie macht ganz gerne, was sie will. In Oberhof in Thüringen hat man es mit einer ausgeprägt launischen Natur zu tun, was die Veranstalter des Biathlon-Weltcups zu dem reichen Erfahrungsschatz bringt, alles (bis auf Sonnenschein) schon mal erlebt zu haben. Dichter Nebel, böiger Wind, oft zu wenig Schnee - und in diesem Jahr fast schon zu viel. Es wäre gerade durchaus entspannter, wären die Wälder und Felder grau und karg und nicht so verschneit, dass Tagesausflügler mit Schlitten die Parkplätze fluten. Letztere werden nun für zehn Tage geschlossen, überhaupt gilt von Freitag an, wenn der Weltcup der Biathleten beginnt: Oberhof macht dicht.

Zuschauer sind in der Arena ohnehin nicht zugelassen, nun wird der Ort auch für alle Normalsterblichen abgeriegelt, die nicht für den Weltcup in diversen Funktionen im Einsatz sind. Mit einer Inzidenz von mehr als 300 weist der Landkreis Schmalkalden-Meiningen einen der höchsten Werte bei den Corona-Neuinfektionen in Deutschland auf, sensibilisiert für die Pandemie ist der Sport ohnehin: Mit einer eigenen Teststation reist der Weltverband seit Saisonbeginn durch die Länder, alle paar Tage werden neue Abstriche genommen.

Mindestens vier positive Tests gab es vor den Wettkämpfen in Oberhof, deutsche Athleten sind nicht betroffen. Sportlich steht besonders einer unter Beobachtung, der zuletzt nur über den Fernseher mit dem Weltcup zu tun hatte: Simon Schempp. Früher hat er mit den Besten um den Gesamtsieg gekämpft, mittlerweile ist sein letzter Weltcup-Start 300 Tage her.

Schempps größter Gegner war zuletzt der Rücken

Normalerweise klingen so die Geschichten von alternden Sporthelden, die den Absprung von ihrem Sport nicht schaffen - aber Schempp ist im November erst 32 geworden, er ist ein Jahr jünger als Arnd Peiffer, der zuletzt den Massenstart in Hochfilzen gewann. Jahrelang waren sie die großen vier im deutschen Team: Schempp, Peiffer, Erik Lesser und Benedikt Doll.

Wenn sie als Staffel liefen, war Schempp der Schlussläufer: verlässlich am Gewehr und der Härteste auf der Loipe. Drei Olympia- und acht WM-Medaillen hat er so gewonnen. Schempp duellierte sich mit Emil Hegle Svendsen und Martin Fourcade, als die Siege nur über Emil Hegle Svendsen und Martin Fourcade entschieden wurden. 2018 bei Olympia in Pyeongchang kämpfte Schempp im Massenstart bis ins Ziel gegen den Franzosen Fourcade, er verpasste im Fotofinish Gold um 14 Zentimeter. Seine Füße seien zwei Nummern zu klein, scherzte Schempp danach. Doch er war glücklich, denn zuvor hatte er immer wieder um seine Form ringen müssen.

Der Kampf gegen den Körper kann so zehrend sein wie gegen die Natur, das hat Schempp früh gespürt: Schon mit 21 brachten ihn Erschöpfungssymptome beinahe um die Olympischen Spiele in Vancouver. Er trainierte viel, manchmal zu viel, die Trainer mussten ihn bremsen. Sein größter Gegner der vergangenen Jahre war der Rücken, eine Viertelstunde brauchte er manchmal zum Umziehen, weil die Muskelstränge so verhärtet waren und alles in die Beine ausstrahlte.

Die Weltmeisterschaften 2019 und 2020 fanden ohne ihn statt, seit Olympia 2018 stand er nicht mehr nach einem Einzelrennen auf dem Treppchen. Mittlerweile hat Schempp die Rückenprobleme in den Griff bekommen, doch die Lage im deutschen Team hat sich verändert: Die Konkurrenz um die Startplätze ist größer. Fit genug wäre Schempp auch schon für die ersten drei Weltcup-Stationen in dieser Saison gewesen, aber in internen Ausscheidungsrennen im November setzten sich Erik Lesser und Roman Rees gegen ihn durch. "Die Wochen zuvor waren für mich nicht so leicht", sagte Schempp nun, "selbstverständlich war ich auch enttäuscht."

Mit Oberhof beginnt das zweite Drittel der Saison, das ist immer auch eine Neuausrichtung des Teams. Da Johannes Kühn und Roman Rees nur bedingt überzeugten, ist wieder Platz für Schempp. Beim Show-Event "World Team Challenge" in Ruhpolding holte er sich Ende Dezember mit seiner Freundin Franziska Preuß ein Erfolgserlebnis ab, sie wurden Zweite. "Das hat mich richtig für ihn gefreut", sagte Preuß in Oberhof, sie bekommt ja am meisten mit, wie das sportliche Tief Schempp belastet. "Natürlich haben die letzten zwei Jahre an seinem Selbstbewusstsein genagt", sagt sie. Bei Schempp klingt das so: "Wunderdinge" seien nicht zu erwarten, "aber ich denke, dass ich ordentliche Ergebnisse einfahren kann".

Mit Rang sieben im Gesamtweltcup ist Preuß aktuell beste Deutsche, die Verhältnisse haben sich umgekehrt bei dem Paar. Doch jeder tut, was er kann, und das gilt auch für Oberhof: In zwei Jahren soll dort die WM über die Bühne gehen, neue Gebäude sind noch im Entstehen, die Strecke wurde modifiziert. Wenn der Schnee dann wiederkäme, hätte das schon was: Sie wären auf jeden Fall vorbereitet.

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