Süddeutsche Zeitung

Biathlon:Der Kannibale ist müde

Lesezeit: 2 min

Von Saskia Aleythe, Oberhof, Oberhof

Wenn Ole Einar Björndalen die Anstiege hinaufläuft, jubeln sie ihm immer noch zu. Früher ist er gehüpft bis geflogen, heute quält er sich, doch die Fans in Oberhof freuen sich nach wie vor, wenn der Norweger auftaucht. Freitagnachmittag in Oberhof, der Regen prasselt seit Stunden vom Himmel, Björndalen startet ins Rennen, als der Sieger Martin Fourcade schon warm eingepackt im Zielraum steht und die Nachkommenden gelassen beobachtet. Björndalen schießt zwei Fehler im Liegen, im Stehen bleibt er fehlerfrei, doch die Zeit läuft ihm da schon davon: Als 46. geht er wieder ins Rennen, am Ende landet er auf Rang 52.

Dass er ausgerechnet die Startnummer 94 am Leib trägt, passt zu seiner Geschichte und zu dem, was ihn dieser Tage begleitet: 1994 hat Björndalen erstmals an Olympischen Spielen teilgenommen. Wenn am 9. Februar die Spiele in Pyeongchang eröffnet werden, könnte einer tatsächlich im norwegischen Team fehlen: Ole Einar Björndalen. Dass ein Athlet mit fast 44 Jahren nicht mehr in Spitzenform ist, ist dabei nicht das Verwunderliche - das Besondere liegt darin, dass es eben Björndalen trifft: Seit 1994 war er bei allen Winterspielen dabei, also sechs Mal in Serie. Bis heute hat niemand mehr Weltcupsiege gefeiert im Biathlon. Und die Familienkonstellation ist nun auch eine spezielle. Darya Domratschewa, mit der Björndalen seit 2016 verheiratet ist, ist nach der Geburt der gemeinsamen Tochter stark in den Weltucp zurückgekehrt: Während Björndalen um Olympia bangen muss, ist Domratschewa längst qualifiziert.

Er erhält keinen Legendenbonus in Norwegen

Den Spitznamen Kannibale hatte sich Björndalen in der Vergangenheit durch seine Unersättlichkeit verdient, durch seinen Erfolgshunger auf der Loipe. Doch in diesem Jahr ist gerade das Langlaufen das Problem. Mit Laufzeiten jenseits der Top 30 war der Norweger in dieser Saison vom Siegerpodest stets weit entfernt, zwei 18. Plätze in Östersund zum Saisonstart sind noch das Beste, was ihm gelungen ist. "Der Druck ist da, ich spüre, dass ich noch Einiges zu tun habe", sagte Björndalen dem norwegischen Sender NRK. "Manche Tage laufen gut, andere nicht so. Es ist ein Auf und Ab." Für die Olympianorm muss er nach den Statuten des norwegischen Verbandes zwei Mal unter den besten Zwölf landen oder eine Platzierung unter den besten Sechs erreichen. Doch selbst wenn ihm das noch gelänge: Die Konkurrenz im Team ist mittlerweile enorm.

Sechs Athleten darf jede Nation mitnehmen zu den Olympischen Spielen, vier bestreiten ein Rennen. Sechs Konkurrenten im norwegischen Team haben in der aktuellen Saison mehr Weltucp-Punkte gesammelt als Björndalen. Die Brüder Johannes Thingnes Bö und Tarjei Bö sind ohnehin längst enteilt, beide haben große Chancen auf Olympiamedaillen. Auch der ehemalige Gesamtweltcupsieger Emil Hegle Svendsen feierte bereites zwei vierte Plätze und wurde in Oberhof nun einmal Zweiter und einmal Vierter. Hinzu kommen Lars Helge Birkeland, Henrik L'Abee-Lund und Erlend Bjoentegaard mit Platzierungen in den Top Ten.

Dass Björndalen weder einen Alters- noch Legendenbonus erhält, hat ihm Norwegens Biathlon-Sportchef Per Arne Botnan bereits angekündigt. "Es gibt keinen Freifahrtschein für ihn", sagte Botnan, "wenn es sich herausstellt, dass er außer Form ist, bezweifle ich, dass er zu den Olympischen Spielen fahren wird." Björndalens einzig guter Auftritt war beim Staffelsieg in Hochfilzen, mit zwei Nachladern und der zweitschnellsten Laufzeit.

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