Süddeutsche Zeitung

Biathlon in Oberhof:Die Lücke weitet sich zum Loch

Lesezeit: 4 min

"Wieso kriegen es die anderen immer hin?": Während die Norweger alle Konkurrenten abschütteln, verzagen die deutschen Biathleten in Oberhof am Schießstand .

Von Saskia Aleythe, Oberhof/München

Sich umzugucken, kann im Biathlon hin und wieder ratsam sein, also schaute sich Arnd Peiffer erst einmal an, mit wem er es jetzt zu tun hatte. Von sehr weit hinten war der Deutsche am Samstag ins Verfolgungsrennen in Oberhof gestartet; als Johannes Thingnes Bö schon im Vollspeed in den Wald verschwunden war, konnte sich Peiffer noch immer die Mütze richten. Und wer lief nun plötzlich neben ihm, auf der letzten Runde Richtung Ziel? Johannes Thingnes Bö, der Johannes Thingnes Bö? "Da dachte ich: Also entweder habe ich sehr viel richtig gemacht oder er sehr viel falsch", sagte Peiffer später - und es stimmte beides.

Mit 20 Treffern und der drittschnellsten Laufzeit kam Peiffer nach 12,5 Kilometern Verfolgung in Oberhof ins Ziel, Platz zehn war nach Rang 47 am Freitag eine kleine Versöhnung mit vielem, was im Thüringer Wald schief gelaufen war. Bö hatte sich mit sieben Fehlern um alle Chancen gebracht, wurde aber trotzdem noch Achter. Und wenn selbst der Gesamtweltcup-Sieger der vergangenen zwei Jahre so oft daneben schießt, dann musste das auch die Kollegin Denise Herrmann ein wenig beruhigen, der wenige Stunden zuvor genau das Gleiche widerfahren war.

Es ruckelt bei den deutschen Biathleten, während es bei den Norwegern geradeso flutscht: Allein in Oberhof gingen neun der bisher zwölf Podiumsplatzierungen in den Einzelrennen an sie. Am Sonntag mussten sich die Deutschen in den Mixed-Staffeln mit jeweils einem fünften und einem vierten Platz zufrieden geben, während die Norweger einmal Zweite, einmal Dritte wurden. "Aktuell ist es das Schwierigste, deine Freunde zu besiegen", sagte Tarjei Bö, der mit drei Fehlern beim letzten Schießen den Sieg vergab, aber immer noch Verfolgungs-Dritter wurde - hinter den Kollegen Sturla Holm Lägreid und Johannes Dale. "Es ist unglaublich, Teil dieses Teams zu sein. Jeder freut sich für den anderen, jeder hilft dem anderen", sagte Bö noch, "wir sind da, wo wir sein wollen und die anderen Nationen versuchen, die Lücke zu schließen." Wobei diese Lücke sich zu einem immer größeren Loch auswächst.

Bei den Männern liegen gleich vier Norweger im Gesamtweltcup auf den vordersten Plätzen. "Wir können sie punktuell schlagen, das haben wir auch schon geschafft", sagt Peiffer, wobei die Betonung halt auf punktuell liegt: "Sie sind im Schnitt halt besser als wir und jedes Wochenende auf dem Podium, meistens zu zweit oder zu dritt. Da müssen wir uns schon fragen, was sie besser machen." Dass zu den vier Besten auch Dale und Lägreid gehören, die gerade mal 23 Jahre alt sind, verleitete Simon Schempp zu einem Blick auf den eigenen Nachwuchs. "Wenn man die letzten Jahre im Weltcup anschaut, ist kein einziger Junger mit 20 oder 21 dazugekommen. Das war früher definitiv anders", sagte der 32-Jährige dem Sport-Informations-Dienst: "Da ist das eine oder andere schon nicht ganz so gut verlaufen die letzten Jahre." Mit den Plätzen 58 und 45 konnte sich der viermalige Weltmeister in Oberhof nicht aus seinem Formtief kämpfen. Auf der Loipe sind ihm die Besten einfach zu sehr enteilt.

"Wir verkaufen uns ein bisschen unter Wert. Das ist nicht unser Anspruch", sagt Herrmann

Wo genau es bei den Deutschen hakt? Mal ist es das Rennen, öfter das Schießen, dabei hatte man mit Engelbert Sklorz im Sommer einen neuen Disziplintrainer installiert, mit dem der eine oder andere auch schon erste Verbesserungen verzeichnen konnte. Erik Lesser (11.) schaffte in der Verfolgung von Oberhof die drittschnellste Zeit des Tages, leistete sich aber zwei Patzer zu viel, Benedikt Doll (19.) hätte noch weit vorne landen können, wären ihm nicht drei Fehler nach dem perfekten Liegendschießen unterlaufen. Obwohl zuletzt keine schwierigen Bedingungen am Schießstand herrschten, hapert es bei den meisten gerade am Gewehr, was auch oft Kopfsache ist. Und stabiler werden die Nerven momentan nicht unbedingt. "Man will immer Gas geben und das nimmt man auch immer mit ins Schießen und das Schießen wieder mit auf die Loipe", sagte Denise Herrmann, "das ist die Kunst, dass man das getrennt voneinander betrachten kann." Theoretisch weiß sie das, doch die Praxis fällt ihr schwer.

Herrmann hatte sich schon enorme Fortschritte mit der Waffe erarbeitet, nachdem sie 2016 vom Langlauf zum Biathlon gewechselt war, fünf WM-Medaillen sprechen für sich - doch aktuell ist das Schießen wieder ihre Schreckensdisziplin. Sieben Runden musste sie allein in der Verfolgung am Samstag kreiseln, damit über einen Kilometer mehr auf der Strecke zurücklegen. Nur drei der 57 Starterinnen schossen schlechter als sie, Herrmann fiel auf Rang 32 zurück. Es siegten, na klar, die Norwegerinnen: Tiril Eckhoff vor Marte Olsbu Röiseland, Lisa Theresa Hauser aus Österreich schnappte sich erneut Platz drei. "Normal nimmt man gut wahr, ob es ein guter oder ein schlechter Schuss war", sagte Herrmann, doch bei ihr war da nur: Leere, kein Gefühl. Es zeichne einen guten Schützen aus, dass man etwas merke, ergänzte die 32-Jährige und darin steckte dann schon ziemlich viel Ratlosigkeit. "Wir verkaufen uns ein bisschen unter Wert", sagte sie, "das ist nicht unser Anspruch."

Auch Franziska Preuß, die eigentlich einen guten Saisonstart vollbracht hatte mit Rang sieben in der Gesamtwertung, haderte nun mit ihrer Leistung in Oberhof. Sie ereilte das gleiche Schicksal wie Doll: Das Stehendschießen brachte sie mit vier Fehlern um eine Topplatzierung, Preuß landete als beste Deutsche auf Rang 18. "Das war einfach ein schlechtes Rennen. Das nervt mich auch", sagte sie geknickt im ZDF, "wieso kriegen es die anderen immer hin und bei uns hängt es irgendwie? Keine Ahnung." Darauf wollen sie jetzt schnellstmöglich eine Antwort finden.

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