Süddeutsche Zeitung

Neuer Präsident bei Hertha BSC:Ein Schrei geht durch den Saal

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Aus der Kurve in die Loge: Der frühere Ultra Kay Bernstein setzt sich bei den Präsidentenwahl deutlich gegen den Favoriten Frank Steffel durch - und will nun die "blauweiße Seele" des Klubs zurückgewinnen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der sogenannte CityCube auf dem Berliner Messegelände ist wunderbar klimatisiert, was am Sonntag in zweierlei Hinsicht begrüßenswert war. Weil auf den Straßen der Hauptstadt Temperaturen wie in der Zwischenhölle herrschten, und weil es bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung von Hertha BSC, die dort stattfand, mitunter hitzig wie im Stadion herging. Erst recht um 13.32 Uhr, als zum Ende der Präsidentschaftswahl ein Schrei durch den Saal ging.

Kay Bernstein, 41, ehedem Hertha-Ultra und heute Event- und Kommunikationsmanager, holte im ersten Wahlgang mit 1670 Stimmen die absolute Mehrheit. Er besiegte Frank Steffel überaus deutlich, der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete erhielt 1280 Stimmen. "Hahohe! Hertha BSC!", hallte es im Stakkato durch den Saal. Außenseiter Marvin Brumme erhielt nur 26 Stimmen.

Bernstein folgt auf Werner Gegenbauer, der unmittelbar nach dem Sieg in der Relegation gegen den Zweitligisten Hamburger SV nach 14 Jahren als Hertha-Präsident zurückgetreten war. "Unsere Dame liegt auf der Intensivstation. Wir können sie von innen ganzheitlich einen und wieder gesundmachen. Das geht nur zusammen!", rief Bernstein nach der Wahl. Es gehe darum, "dass wir unsere blauweiße Seele zurückgewinnen".

Bernstein trifft den Nerv der Veranstaltung - und steht nun für einen revolutionären Wandel

Steffel, 56, war als Favorit ins Rennen gegangen. Einen ersten Hinweis darauf, dass Bernstein am Sonntag eine hohe Zahl an Anhängern hatte mobilisieren können, gab es, als es zu einer Änderung der Tagesordnung kam. Einem Antrag, die Rolle des Aufsichtsrats bei der Kandidatenfindung auszuleuchten, wurde mit deutlicher Mehrheit stattgegeben. Dass der Aufsichtsrat sich für Steffel ausgesprochen hatte, war in weiten Teilen der Mitgliedschaft als übergriffige Parteinahme gewertet worden. Steffel war seit 17 Jahren Vorsitzender der Füchse, am Sonntag sagte er, dem Präsidium des Berliner Handball-Bundesligisten seinen Rücktritt angeboten zu haben. "Wie es nun weitergeht, werden wir nächste Woche klären", sagte er auf Nachfrage.

Während Steffel im Businessanzug auftrat, mühte sich Bernstein um plakative Nähe zur Basis. Er sprang mit einer Hertha-Jacke aufs Podium, die er über ein vorbildlich gebügeltes weißes Businesshemd zog. In seiner Rede, die mit lang anhaltendem, teilweise stehend entbotenem Applaus quittiert wurde, stellte er sich als Familienvater, Unternehmer und vor allem "selbsternanntes Kind der Kurve" vor. Er sei 1994 erstmals im Olympiastadion gewesen und habe die Ultra-Gruppierung "Harlekins '98" mitbegründet, die später im Förderkreis Ostkurve eine Reihe von sozialen Projekten vorangetrieben hatte.

Er habe Fankongresse und Demonstrationen zum Erhalt der Fankultur organisiert, sich mithin "acht Jahre in den Dienst unserer Kurve gestellt". Er traf damit den Nerv der Veranstaltung - und steht nun für einen revolutionären Wandel. Mit ihm steht ein Mann dem Klub vor, dem vor ein paar Jahren noch Stadionverbote erteilt wurden. Aus dem operativen Geschäft seiner Marketingagentur wolle er sich zurückziehen, sagte er, er wolle sich voll und ganz der Hertha widmen. Geschäfte zwischen seiner Firma und der Hertha werde es nicht geben.

"... und dann zeigen wir, wo der Frosch die Locken hat", sagt Hertha-Präsident Bernstein

Die große Frage wird sein, wie sich das Verhältnis zum Hertha-Establishment schüttelt. In seiner Rede machte er es für eine grundlegende Krise verantwortlich: "Eigentlich funktioniert nichts wirklich", sagte er, das Investment von Finanzunternehmer Lars Windhorst, immerhin 374 Millionen Euro seit 2019, sei "pulverisiert" worden. Hertha sei zum warnenden Beispiel dafür geworden, "wie man es nicht macht", wenn man zu Geld kommt.

Bernstein betonte, dass Hertha "einen ehrlichen Neustart" und eine "Entgiftung von innen heraus" brauche, ebenso einen "Burgfrieden", der ausdrücklich Investor Windhorst einschließen soll. Windhorst war am Sonntag bei der Mitgliederversammlung zugegen, ergriff allerdings nicht das Wort. Manager Fredi Bobic sagte, er habe Bernstein gratuliert: "Ich kenne ihn noch nicht persönlich. Wir werden uns jetzt zusammensetzen und miteinander über die künftige Zusammenarbeit reden." Dem wolle er nicht vorgreifen.

Zu den großen Herausforderungen, vor denen Hertha abseits des Platzes steht, zählt die Lösung der Stadionfrage. Hertha spielt im Berliner Olympiastadion, träumt aber von einem kleineren, eigenen, reinen Fußballstadion. Besonders in der Ostkurve wird dieses Projekt kritisch gesehen. Konkrete Aussagen Bernsteins gab es nicht - obschon er einen Zehn-Punkte-Plan vortrug, der unter anderem vorsieht, dass die Hertha-Profis für die Mitarbeiter der Geschäftsstelle grillen.

Ansonsten richtete sich sein Blick auf die erste Runde des DFB-Pokals und den Saisonstart in der Bundesliga: "Nach Braunschweig fahren und gewinnen, nach Köpenick (zum 1. FC Union) fahren und alles raushauen, dann kommt die launische Diva (Eintracht Frankfurt) ins volle Olympiastadion - und dann zeigen wir, wo der Frosch die Locken hat", sagte Bernstein.

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