Süddeutsche Zeitung

Belgien - Irland:Dem Dreizack sei Dank

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45 Minuten Langeweile folgen die bisher schönsten 45 Minuten des Turniers.

Von Johannes Kirchmeier, Bordeaux/München

Endlich durfte Belgien mal kontern, Eden Hazard schnappte sich den Ball. Er sprintete über die Mittellinie, legte den Ball am irischen Strafraum ab zu Kevin De Bruyne - dann stoppte der ab. Er wartete kurz, bevor er etwas lasch zurück zu Hazard passte. Die Konterchance war dahin, ein paar Sekunden später köpfte Romelu Lukaku immerhin noch knapp neben das Tor. Ein enttäuschendes Ergebnis eines hoffnungsvollen Angriffs.

Diese 33. Minute stand für das gesamte belgische Spiel gegen Irland in der ersten Halbzeit. Die Belgier spielten zu pomadig, kickten den Ball lieber mal lässig zum Mitspieler nebendran, statt Tempo ins Spiel zu bringen.

Erst nach der Pause änderte sich das. Die Roten Teufel, so fühlte es sich an, spielten sich nach großer Kritik frei. Besonders der belgische Dreizack (aus De Bruyne, Hazard und Lukaku), dem in den ersten 135 Minuten gegen Italien bzw. Irland nahezu nichts gelungen war, verwandelte in 45 Minuten eine langweilige Partie in Bordeaux in eine der schönsten dieser EM - und katapultierte sein Land damit wieder zurück in den Favoritenkreis in Frankreich. Belgien besiegte Irland 3:0 (0:0)."Die Mannschaft hat gut gespielt und Tore erzielt, das war die richtige Antwort", sagte Lukaku.

Nach seinem ersten Treffer war er in den Armen seines Bruders Jordan, der auch für die Nationalelf spielt, und vor den Augen seines Königs Philippe, in Tränen ausgebrochen. Der König besuchte die Mannschaft nach dem Sieg in der Kabine und gratulierte ihr. "Belgien ist stolz", teilte das Königshaus mit.

Großer Aufreger zum Ende der ersten Halbzeit

Dass es ein fröhlicher belgischer Abend werden würde, war lange nicht klar: Nach der Niederlage gegen Italien (0:2) im ersten Spiel stellte Trainer Marc Wilmots sein Team um. Sein, vielleicht unbeabsichtigtes, Statement: Auffallende Frisuren bleiben draußen.

Marouane Fellaini, der blondierte Wuschelkopf, der an den Kolumbianer Carlos Valderrama erinnert, musste für Yannick Ferreira-Carrasco weichen, den Torschützen für Atlético Madrid im Finale der Champions League. Radja Nainggolan, blonder Irokesenkopf, blieb ebenfalls draußen, und Michy Batshuayi, dessen Frisur wiederum einer Vogelspinne gleicht, saß wie in Spiel eins auf der Bank. Lediglich der für Wilmots unverzichtbare Axel Witsel (mit Afro) durfte auf der Doppelsechs ran. Er wurde später zum "Mann des Spiels" gekürt. "Wir haben Irlands Spiel analysiert und unsere Strategie dementsprechend ausgerichtet. Wir haben uns für das Kurzpassspiel entschieden. Die Aufstellung war die richtige", sagte Wilmots.

Sein Team brachte die Umstellungen anfangs aus dem Rhythmus. Belgien kam erst in der 21. Minute zur ersten großen Chance: Nach einer misslungenen Kopfball-Abwehr von Irlands Innenverteidiger John O'Shea hüpfte der Ball zu Eden Hazard. Der belgische Kapitän schoss ihn aus zehn Metern aber einige Zentimeter übers Tor.

Die erste Halbzeit war geprägt davon, dass Irland verteidigte und Belgien das Spiel verwaltete. Was ja ein bisschen dem Trend der EM entspricht: Ein Team mauert in dieser Gruppenphase gerne, um das andere zum Spielen und zu möglichen Fehlern herauszufordern. Einen großen Aufreger gab es erst zum Schluss der ersten Halbzeit: Shane Long stieg heftig gegen Ferreira-Carrasco ein, der am Sprunggelenk behandelt werden musste, aber weitermachen konnte.

Lukaku kuriert das Team

Der ehemalige Schalker Marc Wilmots stand ja etwas in der Kritik nach dem misslungenen Auftakt gegen Italien, sein Kapitän stärkte ihm demonstrativ den Rücken: "Er versucht, uns guten Fußball spielen zu lassen. Manchmal gelingt uns das nicht. Aber er steht nicht auf dem Platz", sagte Hazard.

Vom Seitenrand aus schien Wilmots sein Team aber im Griff zu haben, er schickte nach der Pause eine namensgleiche, aber völlig veränderte Mannschaft zurück aufs Feld. Gleich nach dem Wiederanpfiff spielte der vorher viel zu ballverliebte Ballverteiler Kevin De Bruyne die Kugel im Konter zu Lukaku, der nach einem Haken trocken mit links ins linke Eck traf (48.). Belgien führte und trat nun mit ganz neuem Selbstverständnis auf . Es wirkte so, als hätte dieses Tor das Team von seiner Verspieltheit kuriert.

Nach der Auftaktniederlage gegen Italien und einem 0:0 nach der ersten Hälfte explodiert Belgien gegen Irland: Nach Lukakus (l.) 1:0...

...köpfelt Axel Witsel (r.) das beruhigende 2:0 gegen tapfer verteidigende, nach vorn jedoch vollkommen harmlose Iren.

Bis zum Ende auf 180: Belgiens Trainer Marc Wilmots kommt dennoch nicht zur Ruhe - vielleicht, weil er weiß, dass Kroatien ein 2:0-Vorprung nicht reichte.

Schlusspunkt: Romelu Lukaku sorgt deshalb für noch mehr Sicherheit - sein 3:0 macht den Deckel auf eine einseitige Partie.

Die Euphorie ist zurück: Nach dem klaren Sieg darf Belgien zumindest schon einmal auf ein Weiterkommen hoffen - ob mehr drin ist, zeigen die nächsten Partien.

Nun spielte es schneller und geradliniger, so wie man es von Belgien die letzten Jahre gewohnt war. Und traf erneut: Nach einer Flanke von Meunier köpfte Witsel das 2:0 (61.).

Am Ende dürfen die Belgier wieder verwalten

Dann durfte noch einmal Lukaku jubeln. Weil Belgien konterte - und wie: Außenverteidiger Meunier erkämpfte sich den Ball vor dem eigenen Tor, er leitete ihn schnell zu Hazard weiter, der von der Mittellinie bis an den Strafraum dribbelte, die Kugel sanft zum 1,91-Meter-Mann in den Sechzehner passte. Der 23-Jährige stand nun alleine vor Irlands Torhüter Darren Randolph und schloss schön ins linke Eck ab (70.). Irland hatte keine Chance gegen das jetzt wieder große Belgien, das am Ende wieder werwalten durfte - nur stand es nun eben 3:0 statt 0:0.

Romelu Lukaku wurde danach ausgewechselt (83.), er marschierte vom Feld und ließ sich feiern, bevor er sagte: "Ich habe zwei Tore für meine Mutter und für die Mannschaft erzielt, das Wichtigste ist der Sieg." Jetzt führt er gemeinsam mit Álvaro Morata (Spanien), Bogdan Stancu (Rumänien) und Dimitri Payet (Frankreich) die Torjägerliste dieser EM an. Ins abschließende Gruppenduell gegen Schweden und dessen Stürmer Zlatan Ibrahimovic am Mittwoch (21 Uhr) dürfte nun der Belgier mit mehr Selbstvertrauen gehen. Und das ist ja bei Stürmern nicht unwichtig. Ibrahimovic hat bisher noch nicht getroffen.

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SZ vom 19.06.2016
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