Süddeutsche Zeitung

Kira Walkenhorst:Ihr Leben nimmt wilde Wendungen

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Kira Walkenhorst hatte ihre Karriere wegen Schmerzen nach zahlreichen Operationen schon beendet. Nach erfolgreicher Therapie schmettert die Olympiasiegerin jetzt wieder.

Von Saskia Aleythe

Es gab eine Zeit, in der Kira Walkenhorst nicht mal eine Tasse aus dem Schrank nehmen konnte, ohne Schmerzen zu spüren. Und nun stand die 29-Jährige dort im Düsseldorfer Sand und schmetterte Angaben über das Netz, gewann Spiel um Spiel mit ihrer neuen Partnerin Anna-Lena Grüne. Und als sich beide am Samstagnachmittag die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften im Beachvolleyball in Timmendorfer Strand gesichert hatten, erzählte das vor allem eine Geschichte: Wie viele Wendungen ein Leben in kurzer Zeit nehmen kann, um am Ende doch wieder auf der gewünschten Route weiterzugehen.

Walkenhorst war ja schon ganz vom Pfad Leistungssport abgebogen. 2016 in Rio de Janeiro hatte sie mit Laura Ludwig Olympia-Gold gewonnen, 2017 die WM, doch sie war immer wieder krank, und ihr Körper fühlte sich nach mehr als zehn Operationen so kaputt an, dass sie im Januar 2019 den Sport abhakte und ihre Karriere für beendet erklärte. Einfach nur Ruhe halfen Knie und Rücken allerdings nicht weiter, sie musste weiter nach Hilfe gegen die Schmerzen suchen - und fand die entscheidende ihrer Ansicht nach bei einem Heilpraktiker. In Düsseldorf sah man nun diese Walkenhorst: Wo früher etliche Tapes zur Linderung der Schmerzen klebten, war jetzt nackte Haut. "Ich freue mich, dass es hier auf Anhieb so geklappt hat und ich mich ohne Tape halbwegs gut bewegen konnte", sagte sie bei Sport 1.

Einfach wieder Spaß haben und verletzungsfrei zu spielen war ihre Devise vor dem Auftritt bei dem Qualifikations-Turnier in Düsseldorf gewesen, beides hatte sich erfüllt, der Erfolg der ersten gewonnenen Partien kam noch obendrauf. Sie sei selber bei maximal 60 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit, hatte Walkenhorst gesagt, doch das reichte, um die ersten kleineren sportlichen Herausforderungen seit fast zwei Jahren zu meistern. Am Freitag hatte sie sich mit Grüne gegen Lena und Sarah Overländer sowie Svenja Müller und Sarah Schulz jeweils mit 2:1 durchgesetzt, am Samstag gelang sogar ein 2:0 (25:23, 21:14) im Finalspiel gegen Viktoria Bieneck und Julika Hoffmann. Das ist auch erstaunlich, weil sich Walkenhorst und Anna-Lena Grüne erst seit Mitte Juli kennen, vor Düsseldorf gerademal fünf Trainingstage zusammen verbracht hatten.

Die neue Volleyball-Partnerin suchte sie zunächst über die sozialen Netzwerke

Dass sie wieder professionell angreifen möchte, hat Walkenhorst Ende 2019 entschieden - sie glaubte nun doch wieder daran, dass ein Sportlerleben ohne Beschwerden möglich sein könnte. Eine bei Medizinern umstrittene Iris-Analyse habe ihr geholfen, der Heilpraktiker habe beim Blick in die Augen sehen können, "dass mit dem Darm etwas nicht stimmt", erzählte sie kürzlich dem Hamburger Abendblatt. 2014 litt sie am Pfeifferschen Drüsenfieber, das Immunsystem habe damit nun immer noch zu kämpfen gehabt. "Das hat meinen ganzen Körper anfällig gemacht, auch die Gelenke, und ist die Erklärung für meine unzähligen Verletzungen", glaubt Walkenhorst.

Ihren Lebensmittelpunkt hat sie in Hamburg, dort trainierte sie mit Melanie Gernert für ein Comeback und war im Februar schon wieder ziemlich fit - doch nun wirbelte Corona Walkenhorsts Pläne durcheinander. Ihre Ehefrau Maria hatte im Herbst 2018 Drillinge zur Welt gebracht, nun sorgten in der Pandemie die Kita-Schließungen dafür, dass sich Walkenhorst vermehrt der Familie widmen musste. Sie empfahl Gernert, sich eine andere Partnerin zu suchen. Als die Betreuung für die drei Kinder dann doch gesichert war, brauchte Walkenhorst schließlich eine neue Partnerin im Sand. Sie startete einen medienwirksamen Aufruf in den sozialen Netzwerken, "ich habe sehr viele Rückmeldungen bekommen. Auch von Männern, denen ich leider absagen musste", sagte Walkenhorst dem Abendblatt.

Der wegweisende Tipp kam dann doch von anderer Stelle: U23-Bundestrainer Jörg Ahmann vermittelte ihr den Kontakt zu der erst 18-jährigen Anna-Lena Grüne, die als großes Nachwuchstalent gilt. Bis zum ersten Anruf habe sie Walkenhorst "nur aus TV-Übertragungen gekannt", sagt die junge Abwehrspielerin der Stuttgarter Zeitung, "ich erlebe gerade eine völlig andere Welt." Bei den Deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand habe sie letztes Jahr noch zugeschaut "und es richtig cool gefunden", sagte sie am Samstag in ihrem ersten Live-Interview bei Sport 1, "dieses Jahr hinzufahren, ist ein Traum".

"Da ist noch Luft nach oben und wir haben ein paar Wochen, um uns weiter einzuspielen", sagt Walkenhorst

Mit den Spitzenleistungen von früher hatte Walkenhorsts Auftritt vom Wochenende freilich noch nicht so viel gemeinsam, doch die Olympiasiegerin hat gelernt, dass kurzfristige Ziele derzeit die besseren sind, um wieder an eine größere Zukunft - Olympia 2024 in Paris - glauben zu können. "Da ist noch Luft nach oben und wir haben ein paar Wochen, um uns weiter einzuspielen", sagte Walkenhorst zur näheren Zukunft. Mitte August will sie ein weiteres Vorbereitungsturnier mit Grüne spielen, ab dem 3. September schließlich bei den Deutschen Meisterschaften aufschlagen und dort "vielleicht das ein oder andere Team ärgern".

Die Wege mit ihrer früheren Partnerin Laura Ludwig kreuzen sich dann wieder, die 34-Jährige arbeitet mit Margareta Kozuch an der Teilnahme an Olympia in Tokio, nachdem sie 2018 erstmals Mutter geworden war. Fast genau vier Jahre nach dem Olympiasieg in Rio hat sich bei Ludwig und Walkenhorst ziemlich viel getan. Die Route ist seit diesem Wochenende wieder dieselbe, wenn auch auf unterschiedlichen Etappen.

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