Süddeutsche Zeitung

Bayer Leverkusen:Lockerheit weg

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Leverkusens Elf ist derzeit zu verkrampft für Peter-Bosz-Fußball - und zu verletzt.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Zur Bewältigung der immer weiter fortschreitenden Bayer-Leverkusen-Krise hat ein Experte am Sonntagabend einen sinnvollen Ratschlag gegeben: "Vorne die Dinger reinschießen und hinten besser verteidigen - dann werden die Ergebnisse auch wiederkommen", empfahl der Fachmann nach der 1:2-Niederlage der Rheinländer gegen den SC Freiburg, und diese klare Aussage verlor keineswegs dadurch an Wahrheitsgehalt, dass sie von dem Mann getroffen wurde, der den Bayer-Profis von Berufs wegen das Toreschießen und Verteidigen beizubringen hat.

Beunruhigend ist lediglich, dass Peter Bosz neuerdings auf Allgemeinplätze und Beschwörungsfloskeln zurückgreifen muss, um die Gesundung seines Teams herbeizureden. Das ist eigentlich unter seinem Niveau. Die triste Bilanz der letzten Wochen gibt jedoch zu erkennen, dass dem niederländischen Trainer im Moment nicht viel Originelles einfällt. Neun Punkte in elf Ligaspielen, dazu das Aus in beiden Pokalwettbewerben - das ist für ein Team mit den Ansprüchen von Bayer 04 eine gefährliche Menge geballter Misserfolg.

Was Bosz mit seiner vermeintlich trivialen Aussage meinte, fand sich allerdings in der Praxis der Partie bestätigt. Der SC Freiburg musste nicht viel Aufwand leisten, um die beiden Tore zu schießen. Vor dem 1:0 spazierte Lukas Höler mit dem Ball in den Leverkusener Strafraum, als wäre er für die Bayer-Verteidiger unsichtbar, Ermedin Demirovic hatte beim anschließenden Torschuss ähnlich viel Platz. Beim 2:0 tat Aleksandar Dragovic gerade das Nötigste, um das Zuspiel von Vincenzo Grifo auf Höler zu verhindern - und dies war nicht genug. "Bei den Gegentoren war nicht das Messer zwischen den Zähnen", klagte Bosz.

Mehr Sorgen muss er sich aber um das Verkümmern der kreativen Elemente machen. Bayer 04 spielt längst nicht mehr den schnellen, schwebenden Kombinationsfußball, der auf den Flügeln unablässig beschleunigt wird. Leon Bailey hat am Sonntagabend als Linksaußen ständig versucht, durch Sprints Tiefe zu schaffen und Deckungslücken zu reißen, aber gegen den versiert verschanzten Gegner brachten die Läufe keinen Raumgewinn. Eine untaugliche Flanke nach der Anderen schlug Bailey, nicht wenige landeten hinter dem Tor. Am Ende blieb der Jamaikaner irgendwann ausgepumpt und augenscheinlich verzweifelt an der Seitenlinie stehen wie ein Auto ohne Sprit - der Tribut an den hohen Leverkusener Spiele-Rhythmus.

Der "kleine Sportclub" aus Freiburg hat nur drei Punkte weniger als Bayer Leverkusen

Die Freiburger hingegen gaben bis zum Schluss ein Musterbild an Organisation und Zweikampfkraft ab. Längst ist es auch nicht mehr so, dass sie einen Sieg in Leverkusen wie ein glücklicher Außenseiter bejubeln. Die Unterschiede in der Tabelle geben es ja treffend wieder: Der Sportclub - "der kleine Sportclub", wie Christian Streich gern sagt - hat nur drei Punkte weniger als das Tochterunternehmen der Bayer AG.

"Für den Peter-Bosz-Fußball braucht man eine gewisse Lockerheit", sagte Sportchef Rudi Völler. Teile dieser lebensspendenden Lockerheit sind dem Bayer-Team in der kurzen Winterpause abhandengekommen, dieser Bruch steht wie ein Wendepunkt in der Saisonchronik. Nun sieht vieles nach Mühe und ungeliebter Arbeit aus, der Misserfolg hat den Spaß zunichtegemacht. "Gefühlt verspielen wir gerade alles", erklärte Offensivkraft Nadiem Amiri die Gemütslage. Völler sagte dem Trainer Vertrauen zu: "Wir sind überzeugt, mit ihm wieder die Kurve zu bekommen. Es sind ja noch viele Spiele."

Obendrein musste der Klub am nächsten Tag einen weiteren schweren Verletzungsfall bekanntmachen. Rechtsverteidiger Timothy Fosu-Mensah, 23, zog sich im Spiel gegen Freiburg einen Kreuzbandriss zu. Der Abwehrspieler war erst im Winter von Manchester United gekommen. Schon sein Vorgänger, der von Atlético Madrid geliehene Kolumbianer Santiago Arias, hatte einen unseligen Start. Er erlitt einen Wadenbeinbruch.

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